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Den Europäern steht eine "historische Woche" bevor, an deren Ende es dann um die uralte Frage in EU-Krisen gehen wird.

Foto: AP Photo/Frank Augstein

Nach Stand der Dinge müsste ein mittleres bis größeres Wunder geschehen, wenn sich im britischen Parlament Anfang nächster Woche doch noch eine Mehrheit zur Annahme des EU-Austrittsvertrags mit all seinen Zusatzerklärungen findet.

Die britische Premierministerin Theresa May strebt ein Votum jedenfalls an. Und es dürfte dazu wohl kommen, auch wenn beim jüngsten EU-Gipfel noch nicht ganz eindeutig geklärt war, wie sie es schaffen will, eine neuerliche – die dritte seit Jänner – Abstimmung in die Wege zu leiten.

Inhaltliche Zugeständnisse etwa bei der Streitfrage um den Backstop für offene Grenzen in Irland kann sie im Moment nicht erwarten. Der Präsident im Unterhaus, Speaker John Bercow, hatte die Latte zuletzt noch einmal höher gelegt. Eine Zulassung macht er davon abhängig, ob die Regierung eine "substanzielle Veränderung" der Dokumente vorweisen könne.

May hofft, dass die Bereitschaft der EU-Partner, den Austrittstermin am 29. März "technisch" zu verschieben, dafür ausreicht. Sie konnte jedenfalls bereits bei ihrem entsprechenden Antrag davon ausgehen, dass die 27 Regierungschefs liefern werden. Niemand will ohne Not den Chaos-Brexit herbeiführen, der allen Beteiligten nur maximalen Schaden zufügen würde.

Aber selbst wenn die Premierministerin es in die Abstimmung schafft: Nach ihrer Schelte für die Abgeordneten generell und die Hardcore-Brexiteers in ihrer eigenen Partei im Speziellen dürfte auch deren Bereitschaft zum Einlenken kaum gestiegen sein.

Verworrene Lage

Kurz: Die EU-Spitzen können derzeit davon ausgehen, dass die verworrene Lage in der innerbritischen Politik weiter anhält. Und dass der fertige Austrittsvertrag, den sie keinesfalls abändern wollen (was nur einstimmig möglich wäre), erneut durchfällt. Millionen EU-Bürger dürften all die Finessen und Tricks nicht nur in London, sondern auch im Zusammenspiel auf EU-Ebene inzwischen vermutlich schon gehörig auf die Nerven gehen.

Sie stellen sich vor allem die bange Frage, ob es in nur einer Woche am geplanten "Brexit-Tag" trotz aller Bemühungen zum chaotischen, ungeregelten Ausscheiden der Briten aus der Gemeinschaft kommt; ob die wechselseitigen EU-Bürgerrechte der Staaten und die EU-gesetzlichen Sicherheiten für die Wirtschaft auf einen Schlag enden könnten.

Die Antwort ist eindeutig Nein, so bedrohlich die ultimativen Aussagen und Drohungen einzelner Staatschefs auch klingen mögen. Etwa jene von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der sogar ein Veto gegen jeglichen Aufschub des Brexits in den Raum stellte. Wie bei vielen großen EU-Krisen zuvor, ob bei der gefährlichen Eurokrise im Frühjahr 2010 oder dem drohenden Grexit 2015, geht es jetzt im Ringen der Staaten zunächst darum, den Druck auf die anderen bis zum Unerträglichen zu steigern. Die finalen Entscheidungen gibt es immer erst ganz am Schluss, in letzter Minute. Oder wie die deutsche Kanzlerin Angela Merkel neuerdings sagt: "in "der letzten Stunde", bis zu der sie kämpfen werde. Die ist am 29. März, vor Mitternacht.

Bis dahin gibt es keinen Grund zur Panik auf der Brexit-Titanic. Den Europäern steht eine "historische Woche" bevor, an deren Ende es dann um die uralte Frage in EU-Krisen gehen wird. Nimmt man noch einen letzten allerletzten Anlauf für einen Kompromiss? Einiges spricht dafür, dass der Poker bis zur EU-Wahl im Mai weitergeht. (Thomas Mayer, 21.3.2019)