Ich sag Dillo zu ihm, er antwortet mit "Halt die Pappn". So schaut das aus, wenn der Marko, also der Arnautović, und ich uns begrüßen. Dillo ist ein liebes Schimpfwort, Dillo ist schon etwas anderes als zum Beispiel Volltrottel.

"Der Marko ist reingekommen und wollte eine Tätowierung von mir. So hat’s angefangen."

Ich sag’s dir, wie es ist. Den Marko kenn ich schon lange, über meine Söhne, die haben auch ganz gut gekickt, im Nachwuchs bei Rapid, bei der Austria, bei der Admira. Im Sommer 2009, kurz vor seinem Transfer zu Inter, ist in meinem Geschäft die Tür aufgegangen, und der Marko ist reingekommen mit seinem Bruder, dem Danijel, und wollte eine Tätowierung von mir. So hat’s angefangen. Dann hat er mich gefragt, ob ich auch nach Mailand fliegen kann, um ihn zu tätowieren. Hab ich gemacht.

Später war ich dann in Manchester und in London bei ihm. Auch der Dragovic und andere Legionäre haben mich immer wieder geholt, ich hab mir da bei den Sportlern schon einen Namen gemacht, nicht nur bei den Fußballern, auch im Eishockey, im Handball, im Boxen.

"In der Tattooszene gibt es viel schräge Sachen", sagt Helmut Zeiner aka "Slimheli".
DER STANDARD

Ich hab Villen gesehen, Yachten und Clubs, das glaubst du nicht. Das war eine andere Welt für mich. Nicht meine Welt. Dort regiert das Geld. Da gibt es Burschen, die könnten meine Söhne sein. 100.000 Euro sind nichts für sie. Ich flieg wohin, und dann seh ich dort Zechen über 10.000 Euro. Ich flieg wieder heim, sperr die Tür auf, seh, die Therme ist kaputt. Ich muss mir um 2.500 Euro eine Therme kaufen, und einen Tag vorher hab ich eine Zeche gesehen, die so groß war wie die von vier Thermen. 2.500 Euro muss ich zusammenkratzen, das spür ich. Für die ist das ein Nasenrammel.

"Zuerst hab ich meine Mutter gestochen, dann hab ich meine Schwester gestochen, dann hab ich mich selber gestochen."

Was ist Kunst? Entweder es gefällt einem, oder es gefällt einem nicht. Ich bin kein Michelangelo, aber ich hab immer ganz gut zeichnen können. Ich hab Graffiti gemalt, dann hab ich einen Airbrushkurs gemacht, dann hat meine Frau, die Michaela, gemeint, ich soll es mit der Tätowiererei versuchen. Ich bin zu einem Tätowierer gegangen, hab gesagt, ich bring dir Kunden, die zahlen dir das, und ich steh hinter dir und schau dir zu. Der hat das Geld gesehen und mich zuschauen lassen.

Nach drei Monaten hab ich mir eine Tattoo-Maschine gekauft und hab selber gestochen. Zuerst hab ich meine Mutter gestochen, dann hab ich meine Schwester gestochen, dann hab ich mich selber gestochen, einen Jesuskopf aufm Oberschenkel. Dann war das Kosmetikstudio von meiner Frau eh schon offen, da hab ich dann richtig angefangen.

Gezeichnet: Die ÖFB-Spieler Aleksandar Dragović, Marko Arnautović, David Alaba und Ex-Austria-Coach Thorsten Fink.
Foto: Christian Fischer

Der Michaela verdanke ich, dass mein Leben jetzt so ausschaut, wie es ausschaut. Ohne sie wär ich ganz woanders oder gar nicht mehr da. In der Kindheit und Jugend war ich wirklich kein Einfacher. Es hat Zeiten gegeben, da hat fast jede Woche die Polizei bei uns geläutet, weil ich irgendetwas ausgefressen hab.

Ich bin gleich abg’haut

Ich bin aufgewachsen im 22. Bezirk, und die Ostbahn war nicht weit weg von uns. Und da hat’s so einen Schleichweg, einen Abkürzer gegeben Richtung Stadlau. Wir sind da herumgelaufen, das war so wie ein kleiner Wald, wir haben gesagt, a Wäudl. Weißt eh, wie das früher abg’rennt ist, heut rennt das ja nimmer so ab.

Wir waren acht Jahre alt. Da sind Waggons herumgestanden, wir sind raufgeklettert, oben herumgegangen. Das war wie ein Spiel. Einmal bin ich neben einem Waggon gestanden mit fünf oder sechs anderen, plötzlich hat’s einen Pumperer gemacht, und der Niko ist runtergeflogen. Er ist oben an einer Starkstromleitung angekommen, dann ist er unten gelegen, und das Licht war aus bei ihm.

"Er ist oben an einer Starkstromleitung angekommen, dann ist er unten gelegen, und das Licht war aus bei ihm."

Ich bin aufgewachsen mit dem Niko, er hat auf meiner Nebenstiege gewohnt. Ich bin gleich abg’haut, bin wie ein Pfitschipfeil nach Hause. Das war eine Geschichte, die relativ hart war. Am nächsten Tag hat mich die Mutter gefragt, ob ich gehört hab, was passiert ist, und ich hab so getan, als tät ich zum ersten Mal hören davon. Aber manchmal denk ich drüber nach, was ich schon gesehen hab in meinem Leben, und denk mir, bist du wahnsinnig.

Zwei Tage nach meinem 14. Geburtstag haben sie mich verhaftet. Ich hab ja immer etwas gemacht, da hat’s genug gegeben, und deswegen bin ich davongelaufen, als mich die Polizisten holen wollten. Das haben sie zusätzlich gegen mich ausgelegt, das war für sie ein Fluchtversuch. Zwei Madln haben mich angezeigt, mir vorgeworfen, ich hätt sie vergewaltigt. Ich war kein Braver, ich hab eine unnötige Art gehabt und keinen guten Schmäh, oft auch mit Madln Probleme, obwohl ich kein Weiberer oder Casanova war. Die zwei haben diesen Einfall gehabt und sich zusammengeredet gegen mich.

Das war nicht lustig, ich bin viereinhalb Monaten gesessen. U-Haft. Ich hab Freunde gehabt, die waren von meinem Grätzel im 22., sie sind schon gesessen, als ich reingekommen bin. Die haben mir drinnen sehr geholfen, das war mein Glück, so bin ich auf die Butterseite gefallen. Sonst wär ich aufgeschmissen g’wesen.

Helmut Zeiner wird Anfang der Nullerjahre zu "Slimheli". Er legt sich den Namen in Anlehnung an Slim Shady zu, das Alter Ego des Rappers Eminem.
Foto: Christian Fischer

So rennt’s ab in der Welt. Wenn du wen hast, der dir hilft, dann hast du es leichter. Das ist nicht nur in der oberen Klasse so, sondern auch in der untersten Klasse. Ich hab einen schweren Delikt gehabt und war der Jüngste in der Rüdengasse, dort war die Haftanstalt. Da wär’s mir normal nicht gutgegangen. Viele haben geglaubt, dass ich das wirklich getan hab, die hätten mich normal schön hergerissen.

Auf mich hat keiner gewartet

Es hat sich herausgestellt, dass alles nicht gestimmt hat. Als sie mich rausgelassen haben, haben sie mir einen Fahrschein in die Hand gedrückt und gesagt, wir sehen dich eh wieder. Manchmal gibt es die Szene in irgendeinem Film, das ist leiwand, dann muss ich wieder zurückdenken. Die Tür von einem Hochsicherheitstrakt geht auf, einer kommt raus, manchmal steht ein anderer da, der wartet, und manchmal steht keiner da. Bei mir ist keiner dagestanden, auf mich hat keiner gewartet. Ich hab nicht einmal gewusst, wo ich bin, ich hab ja nur den 22. Bezirk gekannt.

Das war schon ordentlich eine in die Gosch’n. Wenn ich nachher mit meiner Mutter einkaufen gegangen bin, haben mich die Leute beobachtet. Die haben ja alle gewusst, dass ich ein Gfrastsackl war, und dann haben sie gehört, dass ich wegen einer Vergewaltigung sitz’. Ich war zwar bald wieder draußen, aber den Stempel hab ich gehabt. Im 22. Bezirk haben sie mich nicht gefragt, was rausgekommen ist, da war ich abgestempelt.

"Ich hab viel Blödsinn gemacht in der Jugend. Bis ich 14 war. Dann ist das Breakdance gekommen."

Ich hab das noch nicht oft erzählt. Und ich merk, wie mir schon wieder das Wasser runterrinnt, es nimmt mich ein bisserl mit. Meine drei Söhne, die sind alle erwachsen, aber sie wissen sehr vieles nicht von mir. Wir haben einiges vor ihnen vertuscht. Ein Sohn ist jetzt aus Innsbruck gekommen, und ich hab gestern gemerkt, dass er mich angeschaut hat, richtig angeschaut. Dann hat er gesagt, ich hab gar nicht gewusst, dass du eingesperrt warst.

Breakdance, das war ein Glück

Ich bin neun Jahre in die Schule gegangen, ganz normal. Volksschule, Hauptschule, ein halbes Jahr im A-Zug, dann schon im B-Zug. "B" wie besser. Meiner Mutter hab ich gestern gesagt, sie braucht sich kein Kopfzerbrechen machen, sie hätt’ mich nie bändigen können. Ich hab viel Blödsinn gemacht in der Jugend. Bis ich 14 war. Dann ist das Breakdance gekommen, das war ein Glück für mich. Damit hab ich mich richtig beschäftigt. Ich hab trainiert stundenlang, wochenlang, jahrelang. Und ich hab es geschafft bis zum Titel. 1983 haben sie vom "Rennbahn-Express" aus die ersten Bewerbe organisiert, weil es damals so einen Boom gegeben hat, und ich war 1984 der erste Breakdance-Meister.

Ich hab in der Stadthalle vor 10.000 Leuten getanzt und auf dem Stephansplatz vor 40.000. Das war eine Ö3-Veranstaltung, 40.000 Leute, bist du deppert. Ich war auch in der "Großen Chance" beim Peter Rapp, in "Ohne Maulkorb" bei der Vera Russwurm. Ich war oft im Fernsehen.

"Manchmal tanz ich heute noch, nur zum Spaß, das ist für mich das Schönste, was es gibt."
Foto: Christian Fischer

Nervös war ich nie, ich hab keinen Genierer, keine Angst. Prämie für den Meistertitel war eine Reise nach New York, eine Woche, da bin ich mit dem Herbert Haiszan hin. Der war Eishockey-Teamspieler und Sportlehrer, der hat mir zum Beispiel den Rückwärtssalto beigebracht. Ein guter Freund, ein lustiger Kerl, aber auch nicht grad ein Braver. Eine Woche lang waren wir in Brooklyn, und wir haben auch dort Sachen gemacht, die würd ich jetzt nimmer machen.

Ich hab zwar mit dem Stock nichts können

Manchmal tanz ich heute noch, nur zum Spaß, das ist für mich das Schönste, was es gibt. Damals hab ich mich irgendwann entscheiden müssen zwischen dem Tanzen und dem Eishockey, und ich hab mich fürs Eishockey entschieden. Ich hab zwar mit dem Stock nichts können, ich war kein Techniker, aber ich war unheimlich schnell, mich hat keiner erwischt. Eishockey damals war ganz anders als heute, damals hast du ja pausenlos einen Check gekriegt, auch wenn du mit dem Kopf gegen die Bande geflogen bist.

Der Walter Znenahlik, der alte, war lange mein Trainer. Ich war im Eishockey nicht schlecht, ich hab bei Stadlau und in Mödling gespielt und im Junioren-Nationalteam. Eine Weltmeisterschaft hab ich gehabt, in Rouen in Frankreich. Ich hab eine schöne Zeit gehabt im Eishockey, hab viele tolle Leut getroffen.

"Mit 48 hab ich zwei Herzinfarkte gehabt in 36 Stunden. Es kommt halt immer darauf an, wie man lebt."

Die Fußballer hab ich erst später kennengelernt, den Arnautović, den Dragović, den Alaba, den Fink und so weiter. Einmal hab ich einen Kunden gehabt, der war ein Riesenfan vom Arnautović, dem hab ich das Porträt vom Arnautović tätowiert. Ich hab gewusst, der Arnautović ist in Wien, hab ihn angerufen, hab gesagt, horch zu, ich hab da einen Riesenfan von dir. Der Marko war gleich da, er hat sich auch noch am Unterschenkel von dem Kunden unterschrieben, und ich hab es nachgezogen.

Mit 48 hab ich zwei Herzinfarkte gehabt in 36 Stunden. Es kommt halt immer darauf an, wie man lebt. Ich bin jetzt 52, und seit dreieinhalb Jahren ist bei mir alles bussifein. Aber damals? Damals hab ich richtig ungesund gelebt. Ich hab geraucht sechzig Marlboro, hab getrunken zwei Liter Energy, dazu sehr viel Kaffee. Und ich hab oft nicht mehr als zwei, vielleicht drei Stunden geschlafen. Weißt eh, ich war grau wie die Mauer. Gerechnet hab ich trotzdem nicht damit, ich hab natürlich gedacht, mich wird es schon nicht erwischen, ich bin unsterblich. Wie’s mich dann erwischt hat und sie mir die zwei Stents gesetzt haben, da ist mir ein Licht aufgegangen.

Auch deshalb hab ich jetzt das Buch geschrieben. Das wollte ich. Es hat sich ein bisserl gezogen, aber da hab ich keine Ruhe gegeben. Ich bin schon dreifacher Großvater, zum ersten Mal bin ich es geworden, da war ich 42. Das Buch hab ich auch für die Enkelkinder gemacht. Ich weiß schon, dass sie das noch nicht lesen können und dürfen, weil sie zu klein sind. Aber irgendwann können sie es lesen.

Christoph Hellmann, Egon Theiner, "Slimheli". 24,90 € / 208 Seiten.
Egoth-Verlag, Wien 2019
Foto: Egoth Verlag

Wenn ich mich umdrehe, bin ich dankbar, dass keiner meiner Söhne ein Profi geworden ist, der richtig viel Geld verdient. Alter, glaubst du mir das? Ich schwör es dir! Mit dem Geld hören die Probleme nicht auf. Im Gegenteil, mit dem Geld fangen viele Probleme erst an. Da kracht und grammelt es. Viele haben gar nichts davon, die können kaum Freude empfinden. Die haben drei Monate lang ein Auto, dann kaufen sie sich ein neues. Aber freuen sie sich darüber? Und was tun sie, wenn sie mit 35 aufhören zu spielen? Das war’s dann für sie, keiner redet mehr von ihnen. Den Menschen geht’s nur ums Geld, aber wenn sie es haben, sind sie auch nicht glücklich. Das ist ein Schmankerl, oder?

Alles sehr schön, aber ich brauch das nicht

Ich kenne die Reichen, ich hab ihre Villen gesehen, ihre Autos. Alles sehr schön, aber ich brauch das nicht. Ich bin nicht der Herr Feinspitz. Ich ess gern ein Steak, verstehst du, aber ich hab auch kein Problem, wenn Wurstfleckerln vor mir stehen. Ich bin niemandem neidig, der viel Geld hat. Ich hab überall einen Draht hin. Aber ich hab so viel gemacht in meinem Leben, ich will zurückschalten. Ich mach auch das Geschäft hier in Wien zu, ich möcht daheim in Gramatneusiedl arbeiten, mich auf meine Kunden konzentrieren.

Ich kenne auch die ganz Armen. Manchmal tut mir einer wirklich leid, und ich schenk ihm das Tattoo. Ich sag, behalt dir dein Geld, zahl deine Miete und schau, dass du dein Leben in den Griff kriegst. Ich werd mich zurückziehen. Ich will mit meiner Familie, mit meiner Frau das Leben genießen. Ich muss nicht mehr nach London fliegen. Wenn ich ein Dach über dem Kopf hab und was zu essen, bin ich der glücklichste Mensch, mehr brauch ich nicht. Das ist mein Leben, verstehst du mich? (23.3.2019, aufgezeichnet und zugehört hat: Fritz Neumann)