Die angeklagte Besitzerin des Rottweilers vor Beginn der Gerichtsverhandlung.

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Wien – Beim Schlussplädoyer von Astrid Wagner, der Privatbeteiligtenvertreterin der Eltern und Großeltern des am 27. September nach einem Hundebiss verstorbenen Waris, zeigt sich, dass Richter Gerald Wagner die Idealbesetzung für den Prozess gegen Lydia W., die Besitzerin des mittlerweile eingeschläferten Rottweilers, ist. Wagner (weiblich) appelliert an die emotionale Ebene, schildert das getötete Kleinkind als "Sonnenschein" und fordert eine empfindliche Strafe für Frau W., ehe Wagner (männlich) sie trocken unterbricht: "Bitte nur zu den Privatbeteiligtenansprüchen und nicht zur Strafe."

Der Medien- und Besucherandrang bei dem Verfahren um grob fahrlässige Tötung ist enorm, die 49-jährige Angeklagte schützt sich mit einer Schirmkappe auf und einem Aktenordner vor dem Kopf vor den zahlreichen Kameras. Drei Wochen lang habe sie nach dem Vorfall am 10. September in Wien-Donaustadt bei einer Freundin schlafen müssen, da die Reporter ihr Haus belagert hätten, erzählt sie bei ihrer Einvernahme.

Schuldig im Sinne der Anklage

Zunächst bekennt sich die Unbescholtene aber schuldig im Sinne der Anklage. "Dann erzählen Sie einmal, was an dem Tag passiert ist", fordert Richter Wagner sie auf. "Mein Kollege, mein Ex-Chef, war damals bei mir zu Besuch. Wir sind auf der Terrasse gesessen, dann habe ich ihn zum Bus begleitet. Mit dem angeleinten Hund."

Der Hund war der dreijährige Rottweiler Joey, den Frau W. im Alter von neun Wochen von einem Züchter in Oberösterreich bekam. Und der zuvor bereits einmal einen Bekannten von ihr in den Hals gebissen hatte. Den schon damals in diesem Fall gesetzlich vorgesehenen Beißkorb trug er an diesem Abend dennoch nicht.

"Ich habe mich auf meinen Kollegen konzentriert, und von einer auf die andere Sekunde hat der Hund mich mitgerissen. Ich war in einem Ausnahmezustand, geschockt", schildert die Angeklagte. Tatsächlich waren das 17 Monate alte Opfer und seine Großeltern entgegengekommen, das Tier verbiss sich in den Kopf des Kleinkindes, bis eine Zeugin den Hund schlug und wegzerrte.

Prosecco aus Limonadengläsern

Richter Wagner will gedanklich nochmals auf die Terrasse zurück. "Wie viel haben Sie getrunken?", fragt er. "Drei bis vier Gläser Prosecco", lautet die Antwort. Was sich mit dem Ergebnis des von der Polizei durchgeführten Alkomatvortests nicht ausgeht. "Glauben Sie, dass man von drei Proesecco 1,44 Promille bekommt?", will Wagner also wissen. "Ich habe noch nie einen Alkomattest gemacht", weicht Frau W. aus. Dann stellt der Richter eine entscheidende Frage: "Wie groß waren die Gläser?" – "So Limonadengläser. Insgesamt habe ich vielleicht einen halben Liter getrunken." – "Also schon mehr als drei Gläser Prosecco", spielt der Richter auf die übliche Gefäßgröße für den Schaumwein an.

Die Angeklagte bleibt aber dabei, sie sei "nicht dramatisch alkoholisiert" gewesen und habe die anderen Spaziergänger deshalb nicht wahrgenommen, da sie auf ihren Begleiter konzentriert war. Auf Nachfragen von Verteidigerin Nadine Illetschko verrät sie auch noch, dass sie mehrere Wochen an Schlafstörungen litt und wegen des Unglücks arbeitslos wurde, Fragen, die Richter Wagner dann ebenfalls abwürgt, da sie nichts mit der Sache zu tun haben.

Richter erspart Angehörigen die Aussage

Den Angehörigen des Buben erspart der Richter eine Retraumatisierung, er verzichtet auf ihre Einvernahme. Interessant ist, dass von den anderen zivilen Passanten niemand eine Alkoholisierung von Frau W. wahrgenommen hat, drei einschreitende Polizisten dagegen bestätigen, dass die Frau deutlich nach Alkohol gerochen und gelallt habe.

Das sei überhaupt erst der Grund für die Benutzung des Vortestgeräts gewesen. "Und warum wurde danach kein Alkomattest gemacht?", wundert sich der Richter. "Das ist in diesem Fall nicht vorgesehen. Die Staatsanwaltschaft ist in diesem Fall mit dem Vortest zufrieden", erklärt eine Beamtin. "Wäre vielleicht in Zukunft gut, das zu ändern", regt Wagner an.

Am Ende folgt der Richter der Argumentation der Staatsanwältin. W. habe "gröbst fahrlässig" gehandelt, indem sie als Alkoholisierte mit ihrem Hund ohne Maulkorb und mit zu langer Leine unkonzentriert im öffentlich Raum spazierte. "Das ist ein Rottweiler und kein Schoßhund", stellt er klar, nachdem er eine nicht rechtskräftige Strafe von 18 Monaten Haft, davon ein halbes Jahr unbedingt, ausgesprochen hat.

Das von Anwältin Wagner geforderte Schmerzensgeld von 164.900 Euro erscheint Richter Wagner zu hoch – er hält sich an die Judikatur und spricht 65.000 Euro zu, worin auch die Begräbniskosten enthalten sind. (Michael Möseneder, 25.3.2019)