Manfred Trojahn war bis 2017 Professor für Komposition an der Robert Schumann Hochschule in Düsseldorf. Er lebt am Rhein und in Paris und ist verblüfft und erfreut über die Aufmerksamkeit, die man in Wien der Oper entgegenbringt.

Foto: Bärenreiter-Verlag

Eine neue Atridenoper, heutzutage – echt, muss das sein? Sind die schreckensprallen Schicksale der verfluchten Sippschaft aus dem alten Griechenland im letzten halben Jahrtausend opernmäßig nicht hinlänglich behandelt worden? Doch dann brachte die Neue Oper Wien 2014 Manfred Trojahns Orest im Museumsquartier zur Aufführung, und der Orchestergraben wurde zur Schlangengrube des Wahns, zum Echoraum des Schreckens. Und die Sache war klar: aber ja. Kann, soll, muss sein.

STANDARD: Das Schicksal zeitgenössischer Opern ähnelt oft dem von Eintagsfliegen. Da gibt es ein einmaliges kurzes Bühnenleben, und danach kommt meist nichts mehr. Das ist bei Ihrem "Orest" anders. Die Neuinszenierung an der Wiener Staatsoper ist die fünfte Produktion dieses 2011 uraufgeführten Werks. Wie erklären Sie sich die Beliebtheit?

Trojahn: Das ist schwierig, das kann ich eigentlich nicht sagen. Enrico, meine erste Oper, ist zwölf Mal inszeniert worden, Was ihr wollt viermal, La grande magia ist immerhin einmal nachgespielt worden. Ich lege es nicht extra darauf an, dass meine Opern oft gespielt werden. Aber ich bin natürlich froh darüber!

STANDARD: Sie haben wohl alle bisherigen Inszenierungen von "Orest" gesehen. Wie war es für Sie, diese unterschiedlichen Deutungen Ihrer Schöpfung zu erleben? Ist das vergleichbar mit einem eigenen Kind, das von fremden Leuten unterschiedlich kostümiert wird?

Thomas Johannes Mayer als Orest, Evelyn Herlitzius als Elektra. Premiere von "Orest" ist am 31. März in der Staatsoper.
Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Trojahn: Ich bin ein richtiges Theatertier, und ich mag unterschiedliche Deutungen. Je unterschiedlicher, desto besser. Natürlich habe ich als Komponist eigene Vorstellungen, aber meine Liberalität bezüglich der Deutungen ist groß. Ich habe allerdings auch ein gewisses Qualitätsbewusstsein, und natürlich erlebe ich manchmal Dinge, die mich schaudern lassen. Aber ich theatere dann nicht herum. Die Stücke müssen das überleben. Das ist wie bei Kindern: Die müssen einen schlechten Lehrer in der Schule auch verkraften.

STANDARD: Das zentrale Thema der Oper ist Orests schwieriger Weg von der Fremdbestimmung zur Selbstbestimmung, sein Abwenden von Autoritäten. Welche Arten der Autoritätshörigkeit orten Sie in der Gegenwart?

Trojahn: Wir stehen immer Figuren gegenüber, die uns beeinflussen wollen. Auf politischer Ebene sehen wir das heute überall. Österreich ist ja ein Land, an dessen Leben ich intensiv teilnehme, dann natürlich Deutschland und Frankreich. Wir haben in all diesen Ländern unterschiedliche, aber deutliche Probleme, die in diese Richtung gehen. Insofern ist es ein Stück über heutige Politik.

STANDARD: Warum haben Sie sich als Komponist im 21. Jahrhundert für einen Stoff aus der griechischen Antike entschieden? Sicher: Die hier verhandelten Themen sind zeitlos. Aber verschreckt man dadurch nicht jüngere Publikumsschichten?

Trojahn: Oper ist ein bürgerliches Genre. Ich glaube nicht, dass die Erneuerung der Oper durch eine zeitgenössische Personage herbeigeführt wird. Das mag im Musical funktionieren. Wir haben meiner Meinung nach einen Wandel im Bildungsbereich, und dadurch verlieren wir bestimmte Voraussetzungen, die zur Oper gehören. Natürlich muss man bei Orest die Mythen kennen, um die Geschichte zu verstehen. Wenn die nicht mehr zum Bildungskanon gehören, sind die Geschichten, die hier erzählt werden, nicht mehr so richtig durchsichtig. Aber da kann ich dann auch nicht helfen.

STANDARD: Sie schaffen seit Anfang der 1990er etwa im Fünfjahresabstand eine neue Oper. Jetzt wäre eigentlich schon längst wieder eine fällig. Kommt da bald wieder was?

Trojahn: Ich arbeite momentan an einem Stoff, der mich amüsiert: der letzte Brief des Lord Chandos. Ich nenne es eine reflexive Szene. Der exorbitante Wortreichtum von Hofmannsthal verlangt mir als Komponist Dinge ab, die ich kapriolenreich nennen würde. Das Stück steht im Zusammenhang mit dem Beethoven-Jahr, es wird konzertant im Theater an der Wien zu erleben sein. Bei Beethoven wird ja ästhetisches Scheitern erstmals durchgespielt und erlebt. Bei Mozart war das kein Thema. Mozart hat gemacht, was damals so gemacht wurde, nur besser als die anderen. Das hat gereicht.

STANDARD: Sie knüpfen mit Ihrem "Orest" in gewisser Weise an "Elektra" von Strauss/Hofmannsthal an. Was hat bei der Annäherung an diese beiden Titanen überwogen: die Lust oder das Muffensausen?

Trojahn: Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich bin ein sehr lustbetonter Mensch. Muffensausen ist nicht. Wenn ich Muffensausen hätte, würde ich es nicht machen. Natürlich ist der Anspruch gigantisch, man kann dabei auf die Klappe fallen. Strauss ist für mich als Komponist ein Vorbild. Dieses Überlegenheitsgefühl, das er hatte ... Wir Komponisten sind heute ja nicht mehr so interessant, das Interesse gilt der Popmusik. Haben wir uns diesbezüglich Versäumnisse vorzuwerfen? Maler können Popstars sein, ohne dass sie dabei vor die Hunde gehen, Komponisten müssten das Genre wechseln. Irgendwann habe ich über mich gehört: Trojahn ist Pop. Davon weiß mein Konto leider nichts.

STANDARD: Würden Sie sich wünschen, dass Ihr Orest mal mit Elektra gekoppelt wird?

Trojahn: Ich glaube, das wäre für die Sänger nicht durchzustehen.

STANDARD: Welchen Eindruck haben Sie bisher von der Produktion hier an der Staatsoper?

Trojahn: Also, der Cast ist einfach zum Niederknien. Das Bühnenbild ist das beste bisher. Und das, was ich bis jetzt gesehen habe, überzeugt mich restlos. Obwohl es völlig anders ist als die Lösungen bisher – und die Zürcher Inszenierung von Hans Neuenfels hat mich umgehauen! (Stefan Ender, 27.3.2019)