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Eine der "internatsähnlichen Schulen" in Dabancheng in der Provinz Xinjiang.

Foto: Reuters/Peter

Xinjiangs zweitmächtigster Politiker Shorat Zakir, Regierungschef der autonomen Region in Nordwestchina, war auf die provozierende Frage vorbereitet. Sie wurde ihm am Rande des Volkskongresses während einer für die Presse geöffneten Aussprache der Abgeordnetengruppe gestellt. Ein Reporter der britischen Sky News wollte direkt wissen: Das türkische Außenministerium bezeichne die Camps, die in Xinjiang zur Umerziehung der Uiguren eingerichtet wurden, als "Konzentrationslager". Ob alle ausländischen Kritiker lügen würden, die das ebenso sehen? Und: "Wie viele Menschen werden in den Lagern festgehalten?"

Zakir, zugleich stellvertretender Parteichef in der muslimisch bevölkerten Region ist, von deren 22 Millionen Einwohnern 46 Prozent Uiguren sind, antwortete fast fünf Minuten lang. Er wies wie vor ihm Chinas Außenministerium Berichte des Auslands über Konzentrationslager als "fabriziert" und als "Lügen" zurück. Es gebe keine "Umerziehungslager". Er sprach dagegen von "Fachausbildungszentren", die wie "internatsähnliche Schulen" geführt würden. Er bestritt die Masseninternierung "von mehr als einer Million Uiguren", nannte aber selbst keine Zahlen. Die Zentren seien geschaffen worden, weil es "die Notwendigkeit" für sie gegeben habe. Doch dann versprach er künftigen Wandel: Ihre Insassen "werden immer weniger. Wenn die Trainingsstätten eines Tages gesellschaftlich nicht mehr nötig sind, werden sie allmählich von selbst verschwinden."

Effektive Präventionsmaßnahme

Indirekt bestätigte Zakir, dass er die Einrichtungen als effektive Präventionmaßnahme ansieht. Die muslimischen Minderheiten in Xinjiang stehen in Peking unter dem pauschalen Generalverdacht des islamischen Extremismus, der Unterstützung von Terrorismus und Vorwürfen, die Loslösung Xinjiangs von China zu betreiben. "Seit zwei Jahren und drei Monaten gab es keinen Anschlag mehr in Xinjiang", sagte Zakir. Davor sei die Provinz Opfer terroristischer Anschläge geworden.

Erstmals nahm damit ein führender Funktionär der Region, der selbst der Nationalität der Uiguren angehört, zu den weltweiten Vorwürfen Stellung. Internationales Entsetzen an den Lagern zwingt Peking und Xinjiang nun zu beschwichtigen. Sie gehen in die Offensive, behaupten gar, dass die Welt ihnen dankbar sein müsse, weil sie doch den Terrorismus bekämpften. Die ausländische Kritik an Chinas Methoden hat das Image Pekings beschädigt, nicht nur im Westen, wo die USA von "völlig inakzeptablen" Vorgängen sprechen. Auch Staaten wie die Türkei, Pakistan und Kasachstan zeigen sich beunruhigt über die Zustände in Xinjiang. Wegen "besorgniserregender Berichte" hat die UN-Menschenrechtsbeauftragte Michelle Bachelet zum zweiten Mal seit Dezember nachgesucht, sie nach Xinjiang reisen zu lassen.

Tabuthema

Wie heikel das Thema ist, zeigte sich am Tag nach der presseöffentlichen Aussprache. Alle für das Ausland erscheinenden englischsprachigen Medien Chinas von der Agentur Xinhua über die "Global Times" bis zu "China Daily" berichteten am Mittwoch ausführlich die Äußerungen des Regierungschefs zu den Lagern. Für chinesischsprachige Zeitungen war das Thema tabu. Das Parteiorgan "Renmin Ribao" meldete nur, dass 230 in- und ausländische Journalisten an der Pressekonferenz mit Zakir teilgenommen hätten. Sie hätten sich auf Xinjiangs Erfolge bei der Armutsbekämpfung, seine Öffnung für den Tourismus und seine Anbindung an Chinas Seidenstraßen-Initiative bezogen.

Seit fast drei Jahren schockieren Berichte über Xinjiangs Internierungslager für Uiguren das Ausland. Die Informationen stammen von Entlassenen oder von Familien inhaftierter Uiguren. Sie würden in der Lagerhaft auch gefoltert und gezwungen, ihrem Glauben abzuschwören und sich loyal zu China zu bekennen. Die BBC konnte mit Satellitenfotos zahlreiche gefängnisähnliche Umerziehungscamps identifizieren.

Folklore

Zakir zeichnete dagegen ein harmonisches Bild der angeblichen Trainingszentren. Auf ethnische Gebräuche, Sitten und die Würde der Muslime werde Rücksicht genommen, ebenso auf ihre Essgewohnheiten. Religionsausübung sei während der Ausbildung verboten. Die Insassen dürften über das Wochenende nach Hause zu ihren Familien zurückkehren. Doch bis auf drei Vorzeigestätten, wo ausgewählten Besuchern folkloristische Sing- und Tanzspiele gezeigt wurden, hat noch kein ausländischer Beobachter spontan zu ihnen Zugang erhalten.

Die Fachzentren verfolgten vier Aufgaben, sagte Zakir. Die Uiguren würden die chinesische Sprache erlernen, was ihnen früher von Extremisten verboten worden sei. Sie könnten sich so künftig besser in die Gesellschaft integrieren. Sie lernten auch, sich an Chinas Gesetze zu halten als Voraussetzung dafür, in ein normales Leben zurückzukehren. Durch Weiterbildung und mit neuen Qualifikationen würden sie neue Berufe erlernen. Sie könnten monatlich zwischen 1.500 und 2.000 Yuan (260 Euro) verdienen und ihre Familien unterhalten. Durch die Ausbildung und über Schulungen, so hofft der Regierungschef, würden sich die Uiguren von Extremisten distanzieren.

Zensur

Wie bei der Gruppensitzung der Xinjiang-Delegierten erlaubte Chinas Führung als Ausweis ihrer Transparenz ausländischen und chinesischen Journalisten auch bei anderen ausgewählten Treffen von Abgeordneten, zuzuhören und Fragen zu stellen. Die Zensur kann schließlich verbieten, dass darüber in chinesischen Zeitungen berichtet wird. So geschah es auch bei der Aussprache der Tibet-Gruppe in der Großen Halle des Volkes.

Ein Reuters-Journalist stellte Tibets Parteichef Wu Yingjie eine knifflige Frage: wie er sich erkläre, dass viele Tibeter den Dalai Lama im 60. Jahr seiner Flucht ins indische Exil noch immer lieben. Der Parteichef forderte zwei lokale Abgeordnete Tibets auf, zu antworten. Denen fiel nichts Besseres ein, als zu sagen, dass sie in ihren Distrikten niemanden kennen, der "den Dalai Lama mag". Keine chinesische Zeitung berichtete anderntags darüber. (Johnny Erling aus Peking, 30.3.2019)