Fulminanter Auftakt: Doris Knecht las in der "Wasnerin" aus ihrem aktuellen Roman "weg".

Foto: Oliver Wolf

Die aktuelle Bachmannpreisträgerin 2018, die Ukrainerin Tanja Maljartschuk, nahm das Publikum mit in ihren "Blauwal der Erinnerung".

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Der Anti-Heimatromanautor Reinhard Kaiser-Mühlecker und sein aktueller Roman "Enteignung".

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Sieben literarische Lesung bei vollem Haus in der "Wasnerin" in bad Aussee.

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Der Kaiser von China um Salzberg: Der Schriftsteller Christoph Ransmayr las aus "Cox und der lauf der Zeit".

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Lokalkaiserin Barbara Frischmuth: Mit ihrem neuen Buch "Verschüttete Milch" zurück in die Ausseer Kindheit

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Der deutsche Schriftsteller Gunther Geltinger (rechts) mit seinem Roman "Benzin" und Moderator Carsten Otte beim literarische Hochamt am Sonntag Vormittag.

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Das Beste zum Schluss: "Ich bin ein Sonderfall", sagt Nell Zink über sich selbst. Ihr neuer Roman "Virginia" erscheint Mitte April.

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Ob prächtiger Sonnenschein literarischen Veranstaltungen, die meist indoor stattfinden, zu- oder abträglich ist, ist leider keine Frage. Aber so stabil schön die Wetterlage an diesem vergangenen Literasee-Wochenende in Bad Aussee auch war, so stabil war auch das Interesse des Publikums, das in der "Wasnerin" von Freitag bis Sonntag insgesamt sieben Lesungen und literarischen Gesprächen mit beachtlicher Begeisterung lauschte. Und die übergeordnete Klammer dieses Dichterinnen- und Dichterfestivals, das heuer zum fünften Mal stattgefunden hat – "Zustandsbilder der Welt" – konnte die hochkarätige Veranstaltung locker einlösen.

Eine fulminanten Auftakt gab am Freitagnachmittag die heimische Autorin Doris Knecht, die in ihrem neuen Roman "weg" – kleingeschrieben – zwei Menschen auf eine Reise nach Kambodscha und Vietnam schickt, die nichts mehr gemeinsam haben, außer eine schon groß gewordene Tochter und die Sorge um sie. Knechts Buchtitel und deren Figurenensemble sind also programmatisch, analysiert Literasee-Moderator und SWR-Literatur-Chef Carsten Otte treffend, weil sie immer wieder weglaufen – vor ihren Partnern, vor ihrer Heimat und vor ihrem Leben. Und nicht immer kommen sie zurück.

Im Blauwal der ukrainischen Erinnerung

Weggegangen aus der Ukraine, ist auch Tanja Maljartschuk, die aktuelle Bachmannpreisträgerin 2018, die gemeinsam mit und für das Publikum tief in den "Blauwal der Erinnerung" eingetaucht ist, so der Titel ihres aktuellen Romans, der im Frühjahr in deutscher Übersetzung erschienen ist. Eine junge ukrainische Autorin durchpflügt die Vergangenheit und die Lebensgeschichte des ukrainischen Volkshelden Wjatscheslaw Lypynskyj, der übrigens 1931 in der österreichischen Provinz gestorben ist, um besser mit ihrer eigenen Gegenwart, sie leidet unter Panikattacken, zurechtzukommen.

Dass es nicht einfach ist, seiner Heimat, in dem Fall dem bäuerlichen Kremstal, zu entkommen, davon handelt der aktuelle Anti-Heimatroman "Enteignet" des oberösterreichischen Autors Reinhard Kaiser Mühlecker, der auch am Literasee-Podium wortkarg, aber trotzdem eindrücklich Einblicke in die erotischen Verhältnisse beziehungsweise Nicht-Verhältnisse seiner Protagonisten und Protagonistinnen gegeben hat.

Nur einmal musste das Publikum an diesem Literatur-Wochenende den wohltemperierten Literasee-Veranstaltungs-Saal in der "Wasnerin" verlassen und sich warm adjustieren und tief in den Salzberg eindringen, um dort dem großen Erzählers Christoph Ransmayr, offensichtlich ganz in seinem Element, zu lauschen. Rot ausgeleuchtet las Ransmayr aus seinem Roman "Cox oder der Lauf der Zeit" über einen Uhrmacher aus dem London des 18. Jahrhunderts, der dem gottgleichen "Herr der zehntausend Jahre" einen ewigen Chronometer bauen soll und dafür an den Kaiserhof in Bejing gerufen wurde.

Lokalkaiserin Barbara Frischmuth

Lokalkaiserin in Sachen Literatur ist in Bad und Altaussee eindeutig Barbara Frischmuth. Sie kam in diesem fünften Literasee-Jahr nicht mehr nur als Gast, sondern las am Samstagabend in der "Wasnerin" zur Primetime aus ihrem neuen Buch "Verschüttete Milch" und erinnerte sich mit dem Publikum detailliert an Ausseer Kindheitsjahre.

Dass das Beste zum Schluss kommt, muss nicht immer stimmen und es würde den vorangegangenen Lesungen eindeutig Unrecht tun, weil man Literasee 2019 als einen guten Jahrgang bezeichnen könnte, wenn man Literatur und Wein vergleicht. Aber regelrecht liturgisch wurde es als Moderator Otte, pädagogischer Glutkern der Veranstaltung, am Sonntagvormittag zur großen Unterhaltung des Publikums, zum literarischen Hochamt begrüßte und gleichzeitig zu einem sehr welthaltigen, geradezu queeren Sonntag Vor- und Nachmittag.

Queeres Hochamt

Der deutsche Schriftsteller Gunther Geltinger beschreibt das schwule Ehepaar Vinz und Alex in ihrer Langzeitbeziehung auf einer gemeinsamen Reise nach Afrika und damit gleichzeitig ihre Sehnsucht von diesem gemeinsamen Weg auch abzukommen (was zum Beispiel auf einem morgendlichen Spaziergang um den Altauseersee nicht möglich wäre). "Benzin", so der Titel seines Romans, ist ein Schmiermittel, um diese sprachmächtige Geschichte dieses literarischen Wahrheitssuchers zu erzählen. Wenn er am Ende sagt: "Ich schreibe, weil ich es eigentlich nicht kann", ist das schönstes Literaten-Understatement.

Einen großen letzten Sprung, nämlich von Südafrika nach Virginia, USA machte die Literasee-Veranstaltung, um dem Publikum zum Abschluss die tolle US-Schriftstellerin Nell Zink vorzustellen, die seit ein paar Jahren in Bad Belzig, einem kleinen Kaff in der Nähe von Berlin lebt und dort ihre großartigen Romane schreibt. Mit "Der Mauerläufer", ihrem ersten Roman, den die vogelbegeisterte Amerikanerin eigentlich für den US-Bestsellerautor Jonathan Franzen geschrieben hat, wurde sie mit knapp 50 Jahren zum literarischen Shootingstar. Exzentrisch ist das Etikett, das ihr am meisten verliehen wird, aber sie ist unglaublich lustig, unheimlich belesen und unfassbar begabt. "Ich bin ein Sonderfall", sagt Nell Zink über Nell Zink. Denn lesen konnte die Tochter einer Bibliothekarin schon mit drei und geschrieben hat sie ihr ganzes Leben lang. Lange nur für die Schublade. Mitte April erscheint ihr dritter Roman auf Deutsch. Er heißt "Virginia" wie der Bundesstaat, in dem Zink aufgewachsen ist. "Literatur wie ein Autounfall", fasst Otte das Buch zusammen. Und der Mann hat Recht. Das Publikum war von einer ersten Lesung daraus begeistert. Die Sonne konnte warten. (Mia Eidlhuber, 1.4.2019)