Ruhe bitte! Autoritäre Systeme entstehen in kleinen Schritten. Ein erstes Ziel ist, die kritische Zivilgesellschaft einzuschränken – und das erste Mittel dazu meist die Rhetorik.

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Autoritäre Regime entstehen in einem schleichenden Prozess oft kleiner Schritte, so die Soziologin Ruth Simsa. Der öffentliche Diskurs werde durch ausgrenzende Rhetorik zunehmend polarisiert, warnt sie im Gastkommentar. Einer Studie zufolge ist die rechts-populistische Politik der Regierung auf diesem Weg. Dazu auch der Dramatiker Ewald Palmetshofer, der in seiner vielbejubelten Dankesrede für den Gert-Jonke-Preis den "regierenden politischen Sprech" kritisierte.

Autoritären Politikern sind lebendige und kritische Zivilgesellschaften ein Dorn im Auge. Die Zivilgesellschaft ist nämlich unbequem: Sie kritisiert, fordert, protestiert. Schülerinnen und Schüler kritisieren weltweit und lautstark ganze Generationen, fordern eine radikal andere Politik, betreiben zivilen Widerstand und lernen nebenbei auch, sich zu organisieren. Manche NGOs helfen Migranten, andere stellen mit hoher Expertise die gegenwärtige Arbeitsmarkt- oder Sozialpolitik infrage, wieder andere betreiben Frauenhäuser oder setzen sich für die Rechte von Alleinerziehenden ein. Falschmeldungen aus dem Mund von Politikern werden von zivilgesellschaftlichen Akteuren als solche geoutet und richtiggestellt.

All das fördert Teilhabe und Vielfalt. Und ist daher für autoritäre Regierungen störend. Sie tun viel, um die Möglichkeiten der Zivilgesellschaft einzuschränken.

Politisches Klima im Fokus

Autoritäre Regime entstehen immer seltener durch Militärputsch oder andere Formen massiver Gewalt, sondern in einem schleichenden Prozess oft kleiner Schritte. In diesem Prozess sind die kritische Zivilgesellschaft und unabhängige NGOs unter den ersten Zielen autoritärer Parteien. Empirische Studien aus Ländern wie Ungarn, der Türkei oder Russland zeigen, dass das erste Mittel meist die Rhetorik ist. Der Zivilgesellschaft wird rhetorisch die Legitimität entzogen. Danach wird die Partizipation in politischen Debatten und Gesetzgebung eingeschränkt. Es folgen Änderungen der Regierungspolitik, vor allem in Bereichen der öffentlichen Finanzierung und der Einschränkung der Grundrechte.

An der Wirtschaftsuniversität Wien wurde in Kooperation mit der Interessenvertretung gemeinnütziger Organisationen eine empirische Erhebung über die Rahmenbedingungen unserer Zivilgesellschaft durchgeführt. Im Fokus steht das allgemeine politische Klima in Bezug auf Zivilgesellschaft, Demokratie und Partizipation, Grundrechte und Finanzierung. Diese Studie zeigt, dass die rechts-populistische Politik unserer Regierung auf genau dem oben beschriebenen Weg ist. Die Situation der Zivilgesellschaft ist in den letzten Jahren deutlich schwieriger geworden, und die einzelnen Schritte der Entwicklung folgen dem aus autoritären Ländern bekannten Muster.

· Erster Schritt: Rhetorik und Narrative. Regierungspolitiker sprechen von Profitgier und NGO-Wahnsinn, wir erleben sprachliche Abwertungen und Normalisierungsverschiebungen nicht nur in sozialen Medien oder am Stammtisch, sondern auch von höchster Regierungsstelle. Im öffentlichen Diskurs wird durch eine ausgrenzende Rhetorik zunehmend polarisiert, nicht nur zwischen Durchschummlern und fleißigen Frühaufstehern, sondern auch zwischen "guter" und "schlechter" Zivilgesellschaft.

· Zweiter Schritt: Einschränkung der Partizipation. Österreich hat eine erfolgreiche Tradition der Kooperation zwischen NGOs und Politik. Nun werden zivilgesellschaftliche Organisationen weniger in Gesetzgebungsverfahren einbezogen, ihre Expertise weniger genutzt. Begutachtungsfristen werden verkürzt, Initiativanträge verhindern Stellungnahmen. Die Politik ist intransparenter geworden, und sie kommuniziert kaum noch mit Akteurinnen und Akteuren der Zivilgesellschaft.

· Dritter Schritt: Finanzierung als Machtmittel. Unter der gegenwärtigen Regierung ist bereits eine Vielzahl an Kürzungen zu beobachten, die offensichtlich kritische und an Diversität orientierte NGOs betreffen. Vor allem in den Bereichen Migration, Kunst, Frauen-, Arbeitsmarkt- und Entwicklungspolitik haben diese zum Teil existenzbedrohende Einschränkungen der öffentlichen Finanzierung erfahren. Kürzungen oder deren Androhung zielen darauf ab, kritische Stimmen zum Verstummen zu bringen.

· Vierter Schritt: das Unterminieren von Grundrechten. Grundrechte sind in Österreich im internationalen Vergleich gut ausgeprägt. Es gab allerdings in den letzten Jahren schleichend Einschränkungen der Versammlungsfreiheit, etwa durch die Ausweitung der Anzeigefrist für Versammlungen und die Einrichtung sogenannter Schutzbereiche. Und dann gibt es die vielen Versuche, Institutionen wie die Justiz, die Verfassung oder die Menschenrechte zu unterminieren (Stichwort Sicherungshaft), und die damit einhergehende langsame Verschiebung von Akzeptanz: Wir gewöhnen uns an die schrittweisen Versuche der Grenzverschiebung und sind froh, wenn es dann doch nicht so schlimm kommt.

Ernstzunehmende Gefahr

Die Veränderungen ergeben in ihrer Gesamtheit ein klares Muster: Sie entsprechen den aus internationalen Studien bekannten Entwicklungsprozessen autoritärer Regime. Das systematische Einschränken von Widerspruch, Protest und Vielfalt durch unterschiedlichste ineinandergreifende Maßnahmen ist Ausdruck einer zunehmend autoritären, rechtspopulistischen Politik. Zivilgesellschaft wird systematisch eingeschränkt. Dies stellt eine ernstzunehmende Gefahr für die Demokratie und die offene Gesellschaft dar. (Ruth Simsa, 2.4.2019)