Drei Poster, drei "Kommentare der anderen": Christoph Landerer widmete sich der Essenz der Demokratie, Walter Gröbchen dem Brennmaterial 2.0. Die Reihe beschließt Alfred J. Noll. Im Gastkommentar erklärt der Politiker und Rechtsanwalt, warum er postet und wovor ihn der Klarname bewahrt.

Cartoon: Felix Grütsch

Auftrag zur Aufklärung

Lassen wir das Plüsch und Samt imitierende Gewäsch über unsere bürgerliche Presse bleiben, dann wird die Sache dünn und markant: Die freie Presse geht am inneren Widerspruch zwischen Demokratie und Kapitalismus zugrunde. Nachrichten und Information können, selbst Ware und Transport- und (Be-)Gleitmittel für inserierte Waren geworden, dem einst intendierten Auftrag zur Aufklärung auch dann nicht erfüllen, wenn einzelne Personen oder Medien zusichern, sich an einen ethischen Code zu halten. Gelegentlich mag dieses Versprechen als Distinktions- und Markenzeichen noch für eine gewisse Marktpräsenz sorgen. Indes ist unsere mediale Öffentlichkeit derart verkommen, dass es fast schon etwas Religiös-Irreales hat, noch an eine gemeinsame kommunikative Wirklichkeit zu glauben. "Nicht nur gibt es keine gemeinsame Wirklichkeit mehr, die wir, per Diskurs und Debatte, wenn's sein muss, zusammen bewohnen können, es gibt auch keine diskursive Ordnung von Information und Mythos. Und schon gerinnt der Mythos, durch Usurpation und Besetzung von Begriffen und Sprechweisen, wieder zur Propaganda" (Georg Seeßlen). Darüber ist nicht zu verhandeln – es geschieht.

Das ist allemal hoffnungslos. Macht nichts. Wir müssen nicht niederknien vor Habermas' "Theorie des kommunikativen Handelns". Kritik und Aufklärung sind längst ausgesperrt aus unseren Medien. Gewiss, nach 1945 war die demokratisch-kapitalistische Presse im deutschen Sprachraum am Aufbau der Demokratie beteiligt – in Österreich naturgemäß viel später. Sie war Informationslieferant, Kontrollinstanz und Erzählmaschine. Grosso modo ist jetzt alles anders. Alles ist zur "Blödmaschine" geworden: Fabrikation von Stupidität, so weit das Auge reicht.

Vom Objekt zum Subjekt

Wir sollten vom Objekt der "Berichterstattung" zu deren Subjekt werden. Den als "Gatekeeper" sich gerierenden Medienqualitätsbeflissenen ist so wenig zu trauen wie denen, die ihre medienethischen Ansprüche längst schon in den Gully abgelassen haben – auch wenn die Gründe verschieden sind. Deshalb: Wir sollten uns einmischen.

Im STANDARD-Forum zu "posten" ist Betätigungslust aus vielerlei Ursachen: bloßer Zeitvertreib und verzeihliche Wichtigtuerei, notwendige Korrektur und nützliche Ergänzung, blöde Anpatzerei und freie Meinungsbekundung, muntere Grenzbeschreibung zwischen Fakt und Fiktion, versuchte Erzählung und beglückende Erdichtung, entlastender Witz und berechtigte Wut, abgelassener Ärger und selbst genossene Befriedigung. Man tut's – und mitunter merkt man erst hinterher, was man getan hat, wenn man nicht, noch bevor man's selber merkt, schon algorithmusunterstützt wieder "gelöscht" wurde.

Persönlich Haltung zeigen

Ich poste unter Klarnamen. So bewahre ich mich selbst davor, meinen Leidenschaften vorschnell semantischen Ausdruck zu verleihen; so entkomme ich meiner immer wieder keimenden Lust, dem grassierenden Un- und Blödsinn mancher Forumsteilnehmerinnen und -nehmer eine niveauadäquate Antwort zu geben. Klarnamen zügeln. – Warum 31 meiner knapp 4000 Postings gelöscht wurden, ist mir völlig unerfindlich – DER STANDARD betreibt hier eine Willkürmaschine. Ein bisschen ist's wie's Wetter: Ich kann's nicht ändern, und deshalb ärgert es mich auch nicht, und so wichtig wird's nicht gewesen sein.

Wichtiger ist mir etwas anderes: Für das, was ich schreibe, stehe ich ein, mit Namen und Anschrift. Mag der Geist der Zeit das als pathetisch denunzieren, ich halte es für zunehmend wichtiger, dass wir persönlich (und damit identifizierbar) Haltung zeigen – an allen Orten. Schon höre ich den Tadel: Ja, du kannst dir das leisten. – Stimmt, sage ich darauf. Aber ich habe mir das auch bei meinen fast hundert "Kommentaren der anderen" im STANDARD geleistet, die ich seit 1989 veröffentlicht habe. Sosehr ich also dagegen bin, die Verwendung von Klarnamen als rechtlichen Zwang einzuführen, so sehr wünschte ich mir, dass im Forum alle auftreten, so wie wir uns auch im "normalen" Leben namentlich vorstellen. – Freilich gebe ich zu, dass ich aus der Anonymität der meisten Poster auch einen Wohlfahrtseffekt erziele: Auf anonyme Beleidigungen und Herabwürdigungen pfeife ich.

Der Extraneus

Gelegentlich schwindle ich mich darum herum, aber ich bin wohl "Politiker". Noch bevor ich gewählt wurde, wurde meine Radiosendung ("Kunst der Demokratie" auf Ö1) abgesetzt und ein Schreibverbot verhängt (etwa im "Spectrum" der "Presse"). Der Politiker wird aus der Zivilgesellschaft ausgeschlossen, er wird zum Extraneus. Die Medien behandeln ihn als "den ganz anderen". An Orten, an denen ich zuvor etwa als "Verfassungsexperte" gefragt wurde, bin ich jetzt "Parteipolitiker". Hier zeigt sich eine Facette der pathologischen Öffentlichkeit in Österreich: Vorab qualifizierende "Zuordnungen" ersetzen den Gehalt einer Sache und das Argument einer Person.

So gesehen ist "Posten" auch eine Art persönlicher Notwehr mit kleinsten Mitteln gegen die schubladisierende Zurichtung meiner Person. Manchmal gelingt's. (Alfred J. Noll, 7.4.2019)