Juan Amador (rechts): Deutscher, Migrantenkind und – Hilfe! – laut Guide Michelin derzeit der beste Koch Österreichs.

Foto: GEPA / Markus Oberländer

Als der französische Gourmetführer Guide Michelin Juan Amador als einzigen Koch in Österreich mit drei Sternen adelte, hieß es bei Gastrokritikern, seine Küche sei nicht 2019. Ein Widerspruch in einem Gastkommentar für Feinspitze.

Mit dem Guide Michelin ist Österreich erst einmal durch. Selbst eingefleischte Fans, die einen New-York- oder Tokio-Besuch ohne die aufmerksame Lektüre der roten Feinschmeckerbibel nicht wagen würden, sind stocksauer und kündigen den Boykott an. Auslöser für die Enttäuschung und bisweilen auch Wut vieler österreichischer Liebhaber des guten Essens ist die Vergabe von drei Sternen an den deutschen Koch Juan Amador für sein nach ihm benanntes Restaurant im Wiener Stadtteil Grinzing. Die höchste Auszeichnung für den Neuankömmling am Kochherd in der österreichischen Hauptstadt wird als mediale Ohrfeige für hiesige Lokalmatadore empfunden, die seit Jahren oder gar Jahrzehnten auf hohem und höchstem Niveau kochen.

Fragiles kulinarisches Selbstbewusstsein

Die außergewöhnlich vielen negativen Reaktionen auf Amadors drei Sterne, die auch DER STANDARD ausführlich dokumentiert hat, demonstriert die Fragilität des kulinarischen Selbstbewusstseins. Diese Verletzlichkeit kommt nicht von ungefähr. Denn den welterfahrenen Gast fällt schnell auf, dass die österreichische Küche, insbesondere die Wiener Küche, überwiegend restaurative Tendenzen aufweist. In gewisser Weise spiegelt die Kulinarik die gesellschaftspolitische Entwicklung des Landes wider: "Austria first". Dementsprechend sehen auch die Speisekarten vieler Spitzenlokale aus. Das in den vergangenen Jahren praktizierte Dogma, fast ausschließlich mit nationalen Produkten in der Küche zu arbeiten, begrenzt nicht nur den Genuss. Diese Selbstbegrenzung verhindert auch Innovationen und Experimente aus Kombination und Verarbeitung der besten Produkte aus aller Welt.

Die meisten der Spitzenrestaurants fahren mit der kulinarischen Rückkehr auf die Scholle ausgesprochen gut. Das hiesige Publikum liebt es aus gutem Grund, die exzellenten rot-weiß-roten Produkte zu essen, deren Herkunft und deren Verarbeitung nachvollziehbar ist. So gut und richtig die konsequente Wiederentdeckung österreichischer Erzeugnisse in der zeitgenössischen österreichischen Küche auch ist, so sehr beschränkt sie auf der anderen Seite das Geschmackserlebnis.

Kulinarische Vaterlandsliebe

Österreich liegt eben (nicht mehr) am Meer. Das Klima zwischen Bregenz und Eisenstadt limitiert zwangsläufig die Erzeugnisse. Das Land kann nicht wie die kulinarischen Leitnationen Spanien, Frankreich oder Italien aus dem Vollen schöpfen. Die kulinarische Vaterlandsliebe ist auch einer der Gründe, weshalb die Köstlichkeiten aus dem Meer oder das Gemüse und Obst aus mediterranen Gefilden auf den rot-weiß-roten Speisekarten so vernachlässigt werden.

Während in den benachbarten Kapitalen wie Prag und Budapest längst eine großartige Weltoffenheit bei der Auswahl der Produkte und deren Verarbeitung eingezogen ist, übt sich die hiesige Küche in einer freiwilligen Selbstbegrenzung. Statt Weltoffenheit in der Küche zu praktizieren, limitieren sich viele exzellente Köche. Schon immer war Küche auch Ausdruck eines Lebensgefühls. Und das ist in Österreich zunehmend traditionell und patriotisch.

Von außen bewertet

Vor diesem Hintergrund ist es wenig überraschend, dass ein Restaurantführer mit internationalen Maßstäben die österreichische Küche anders bewertet als die Gäste im eigenen Land. Von innen heraus ist und war die österreichische Küche schon immer größer und bedeutender, als sie tatsächlich in Europa wahrgenommen wurde. Die kontroverse Bewertung des Guide Michelin ist daher eine indirekte Aufforderung, mehr Weltoffenheit, mehr Experimentierfreude und mehr Innovationen zu wagen. Globalisierung ist für Liebhaber des guten Essens nämlich kein Schimpfwort, sondern eine Voraussetzung, das Beste aus aller Welt zu genießen.

Deutschlands berühmtester Koch, der Österreicher Eckart Witzigmann, hat mit seinem legendären Münchner Restaurant Aubergine einst europaweit für Furore gesorgt. Dafür hat der in Hohenems geborene Kochkünstler nicht bayerische Klassiker raffiniert neu interpretiert, sondern mit einer am damaligen französischen Vorbild orientierten Nouvelle Cuisine, die schon damals keine Grenzen – weder vom Produkt noch vom Geschmackserlebnis her – kannte. Zur Erinnerung: der "Jahrhundert-Koch", so der Gault Millau, holte mit seiner Aubergine 1980 drei Sterne erstmals nach Deutschland und behielt sie bis zur Schließung 1994.

Drei Sterne zur Motivation

Am Ende des Ärgers um den Guide Michelin und sein Urteil über Wien bleibt auch Hoffnung. Denn die Inspektoren bewerten alljährlich nur die Restaurants in Wien und Salzburg im Rahmen des Führers Main Cities of Europe, die vor allem Geschäftskunden und Vielreisende nutzen. Die Regionen außerhalb der beiden Städte lassen die Gastrokritiker im Gegensatz zu den Nachbarländern Deutschland, Schweiz oder Italien links liegen. Das ist ausgesprochen schade, denn gerade auf dem Land sind außergewöhnliche Köche mit Spitzenleistungen zu finden, die mehr internationale Würdigung seit Jahren verdient hätten.

Dass nun ausgerechnet ein Migrantenkind aus Schwaben zum besten Koch der österreichischen Hauptstadt gekürt wurde, ist zweifellos ein Schlag für hiesige Feinschmecker. Doch zugleich ist es auch als Motivation zu verstehen, den globalen Wettbewerb sehr viel ernster zu nehmen. Selbstgefälligkeit oder gar Selbstverliebtheit war noch nie die Grundlage für Spitzenleistungen, die über die Grenzen hinweg für Anerkennung oder gar Begeisterung sorgen. (Hans-Peter Siebenhaar, 7.4.2019)