Ratspräsident Donald Tusk nach dem Sondergipfel in der Nacht auf Donnerstag.

Foto: APA/AFP/ARIS OIKONOMOU

Immerhin eine kleine Gruppe von Briten hat der faule Brexit-Kompromiss von Brüssel glücklich gemacht. "Mays Halloween-Horror" – die Schlagzeilenbastler der großen Londoner Medien hatten über Nacht ihren Spaß mit dem neuen, angeblich allerletzten Austrittsdatum Großbritanniens aus der EU.

Man mag dafür Verständnis haben, dass der 27er-Club bei seinem normalen Vorgehen geblieben ist. Auf der einen Seite waren jene wie Ratspräsident Donald Tusk und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel: Eine flexible Verlängerung, im Jargon "flextension" genannt, hätte der Regierung und dem Wahlvolk auf der Insel bis zum Jahresende, womöglich sogar bis März 2020, Zeit gegeben, sich aufs Wesentliche zu besinnen: Wollen wir den Brexit wirklich? Zu welchen Konditionen?

Dagegen standen, angeführt von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, jene, die wie Premierministerin Theresa May selbst den 30. Juni als letztmöglichen Scheidungstermin festlegen wollten. "Einigen wir uns eben auf einen Kompromiss", lautete wohl die Parole, die zu dem neuen Termin, dem 31. Oktober, führte.

Kein Termindruck mehr

Damit aber ist gar nichts gelöst. Der frühere Termin hätte den Druck auf die Parlamentarier in Westminster aufrechterhalten. Gespräche zwischen Mays Abgesandten und der Labour-Opposition haben ja den richtigen Weg gewiesen: den vorliegenden Austrittsvertrag verabschieden, die Zukunft Großbritanniens in einer Zollunion mit der EU sowie die Fortschreibung von Arbeitsrechten und Umweltvorschriften gesetzlich verankern. Dieser Kompromiss wäre für beide Seiten schmerzhaft – und wer fügt sich selbst Schmerzen zu, wenn kein Termindruck mehr besteht?

Die längere Phase von bis zu einem Jahr hätte den Europafreunden auf der Insel eine Chance gegeben, doch noch ein zweites Referendum durchzusetzen. Dessen ordnungsgemäße Durchführung dauert eminenten Verfassungsexperten zufolge vom Zeitpunkt einer positiven Entscheidung des Unterhauses an mindestens fünf Monate.

Angesichts der zu erwartenden Guerillataktik der Brexit-Ultras in beiden Parlamentskammern dürfte dieser Zeitraum eher sechs oder mehr Monate betragen. Bis Ende Oktober bleiben nach der Osterpause nur noch etwas mehr als fünf Monate, vom bisher fehlenden Votum des Unterhauses für die Volksabstimmung ganz zu schweigen. Auch diese Möglichkeit ist also vom Tisch.

Fassungslos schaut die Welt den Briten seit Monaten bei ihrer Nabelschau zu. Dass in London keine Entscheidung fällt, machte den Gipfel von Brüssel überhaupt erst nötig. Leider war der Rat der Staats- und Regierungschefs ebenfalls vom Virus der Entscheidungsschwäche befallen. Der neue Termin bringt niemanden voran. (Sebastian Borger, 11.4.2019)