"Der gefangene Sklave" von John Philip Simpson (1827)

Foto: AFP/Francois Guillot

"Olympia" (1863) von Edouard Manet (1863)

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"Sklave zu verkaufen" von Jean-Leon Gerome (1873)

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Es ist eine mutige Ausstellung, die das Musée d’Orsay zusammengestellt hat. In Frankreich ist an sich jede ethnische Hervorhebung verboten. Die Hautfarbe, so will es das ungeschriebene, aber tief verwurzelte Gesetz der Republik, darf kein Unterscheidungsmerkmal sein. Deshalb sind in Paris auch ethnische Statistiken verboten. Das hat sein Gutes, entzieht es doch rassistischen Behauptungen den Boden. Aber es blendet auch eine – gesellschaftliche und oft soziale – Realität aus. "Schwarze" oder "Weiße" existieren in Frankreich eigentlich nicht.

Die Ausstellung Das schwarze Modell von Géricault bis Matisse bricht mit dieser Tradition. Sie interessiert sich für ein "Non-Dit der Kunstgeschichte, nämlich die Bedeutung jener vielen Schwarzen, die Pariser Malern Modell gestanden hatten", wie Museumsdirektorin Laurence des Cars meint. Ziel sei es gewesen, "diesen großen Vergessenen einen Namen und eine Geschichte zu geben".

Der Status von Möbeln

Natürlich sind in der Malereigeschichte auch weisse Statisten Legion. Dunkelhäutige Modelle wurden aber immer besonders "anonymisiert". Bis ins 19. Jahrhundert wurden sie zu einem reinen Leinwanddekor degradiert, was nicht einmal überrascht, wenn man bedenkt, dass die französischen Sklaven in Napoleons "Code Noir" den Status von "Möbeln" hatten. In der folgenden Kolonialzeit wurden meist halbnackt gemalte Schwarze zur Projektionsfläche für die Sexualfantasien des angeblich so zivilisierten Abendlandes.

Es ist das Verdienst des Orsay-Museums, die schwarzen Modelle von Objekten zum Subjekt zu machen. Der mit dem Handtuch winkende Schwarze auf dem Géricault-Gemälde Das Floß der Medusa (1819) war im Modell ein Sklavensohn aus Haiti. Géricault konnte ihn und zwei andere Schwarze erst in einem späten Malstadium beifügen, womit er sich auch für die damals heiß diskutierte Abschaffung der Sklaverei aussprach. Das Orsay kennt immerhin seinen Vornamen, Joseph.

Ebenfalls aus der nachrevolutionären Ära stammt das Portrait d’une négresse von Marie-Guillemine Benoist, das der Louvre später politisch korrekter als Portrait d’une femme noire bezeichnete. Das Musée d’Orsay hat nach langen Abklärungen das Modell eruiert und benennt das subtil zurückhaltende Bild nun Porträt von Madeleine.

Auch von der diskreten, fast unsichtbaren Magd, die am Bettrand von Manets weltberühmtem Gemälde Olympia einen Blumenstrauß hält, hat das Museum nach langer Prüfung der Unterlagen einen Vornamen gefunden: Laure. Die junge Frau war nicht in den Skandal verwickelt, den das Gemälde durch die provokante Pose Olympias 1865 im Pariser Salon auslöste. Auch wenn im Hintergrund bleibend, wirkt ihre komplizenhaft-wissende Haltung aber fast lebendiger als die überbelichtete Edeldirne auf dem Bett.

Akademischer Aufbau

So innovativ die Ausstellung ist, so akademisch wirkt sie durch den chronologischen Aufbau. Er offenbart den Stimmungswandel im 20. Jahrhundert, als einige Maler ihre schwarzen Modelle auch zu Hauptfiguren machten. Etwa die pfeifenspielende Schlangenbeschwörerin des Zöllners Rousseau (1907), aus der das Weiß der Pupillen so intensiv hervorsticht, weil sie sonst schwarz wie die Nacht ist. Oder Félix Vallottons großartige Aïcha (1922).

Es war die Zeit, als tausende Afrikaner zum Kriegsdienst nach Frankreich geholt wurden. Auf den Pariser Bühnen tanzte Joséphine Baker; Léopold Sédar Senghor und Aimé Césaire gründeten die Literaturgattung der Négritude. Die afrikanischen Masken inspirierten Picasso, die Jazzmusik seinen Freund Matisse. Er verewigte manche halbschwarze Modelle wie Elvire Van Hyfte oder Carmen Lahens.

Warum die Ausstellung mit der Nachkriegszeit zu Ende geht, hat seinen Grund wohl einzig im zeitlich umrissenen Programm des Musée d’Orsay. Leider nicht im Inhalt: Es wäre sehr interessant gewesen zu erfahren, welche Rolle und Identität die "Modèles noirs" in Frankreich in der zeitgenössischen Kunst bis heute innehaben.

Das leitet zur Frage über, warum das Orsay gerade jetzt eine Ausstellung über schwarze Modelle ansetzt. Heute gehe es um die "Identität in Zeiten der Globalisierung", antwortete indirekt der französische Dichter-Rapper Abd Al Malik, als ihn das Musée d’Orsay Anfang April zu einigen Konzerten einlud. Auch die Raubkunstdebatte hat von Berlin bis Paris viel in Bewegung gebracht, und darüber hinaus sicher auch exogene Phänomene wie die US-Präsidentschaft Barack Obamas.

Identitätsdebatte

Auf jeden Fall zeigt sich, dass die französischen Nationalisten nicht das Monopol der Identitätsdebatte für sich beanspruchen können, wenn sie die Gefährdung der westlichen Kultur beklagen. Die Pariser Ausstellung belegt, dass die Identität des (aus europäischer Sicht) "anderen" eine mindestens so relevante Frage ist.

Auch wenn es Le Cars bestreitet, geht es in der vorliegenden Ausstellung längst nicht nur um das Einzelschicksal schwarzer Modelle, sondern um etwas viel Grundlegenderes, die Anerkennung ihrer Individualität in der Kunst und damit in der Gesellschaft. Wie die US-Autorin Toni Morrison in einem schmalen, am Ausstellungsausgang aufliegenden Essay schreibt: "Die Hautfarbe ist immer benützt worden, um die Individualität der ‘anderen’, der Schwarzen, zu leugnen." Orsay-Direktorin Le Cars hat insofern zweifellos recht, wenn sie sagt, die Ausstellung sei nur "eine erste Lesung". Der Beginn einer neuen Sichtweise. (Stefan Brändle, 15.4.2019)