Der neue Flughafen Istanbul ist stark von der islamisch geprägten Architektur der Erdoğan-Ära gekennzeichnet.

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Zwei Themen beschäftigen die Istanbuler im April. Das eine ist politischer Natur. Wird die AKP ihre Wahlniederlage akzeptieren oder wird neu gewählt werden? Die zweite Frage lautet: Wie lange braucht man zum neuen Flughafen?

Noch im vergangenen Herbst kursierte ein schockierendes Informationsblatt der Stadtverwaltung. Auf dem wurde vorgerechnet, um wie viel Uhr man den Bus vom Taksim-Platz nehmen muss, wenn man einen Flug um neun Uhr am neuen Flughafen hat. Fünf Uhr, rechnete die Tabelle vor. Einen Metro-Anschluss oder eine Zuganbindung gibt es vorerst nicht. Erstere soll erst 2020 folgen.

Frage der Zeitrechnung

Der Taxler aber grinst auf die Frage, wie lange die Fahrt an einem regnerischen Nachmittag vom Istanbuler Stadtteil Beyoglu aus dauert. "40 Minuten", antwortet er. Da Istanbul aber eben doch nur halb in Europa liegt, könnte die Zeitangabe auch orientalischer Natur sein. Sprich: 40 Minuten können auch 60 oder 80 sein. So genau muss das schließlich keiner wissen.

Mit dem alten Atatürk-Flughafen pflegten die Istanbuler eine eher großväterliche Beziehung. Man mochte ihn, wusste aber: Der alte kann nicht mehr so schnell. Da konnte es schon einmal passieren, dass ein Flugzeug drei Schleifen über die Meerenge flog, bevor endlich Platz zum Landen war. Anschließend tuckerte man eine halbe Stunde über das Rollfeld, um irgendwo am hintersten Rand, da wo der Flughafen an das Wohngebiet grenzt, zum Stehen zu kommen.

Alle Passagiere wurden dann recht barsch in zwei Busse gequetscht, und man fuhr gefühlt nochmals eine halbe Stunde die Strecke zurück zum Terminal. Auch die Schlangen bei der Passkontrolle konnten – je nachdem, ob gerade ein Pilgerflieger aus Mekka oder eine Urlaubermaschine aus Kuala Lumpur gelandet war – bis zu einer halben Stunde dauern. Man verzieh das dem alten Atatürk-Flughafen, denn dafür dauerte die Fahrt vom Taksim-Platz gerade einmal 30 Minuten.

Heillos überlastet

Selbst den größten Erdoğan-Kritikern war klar, dass der alte Atatürk mit 60 Millionen Passagieren heillos überlastet war. Ein Ausbau war nicht möglich, weil der rund 100 Jahre alte Flughafen längst von einem Wohngebiet umschlossen ist. Seit vergangenem Wochenende ist also der neue Flughafen in Betrieb und Atatürk Geschichte. Er heißt schlicht Istanbul (wobei Gerüchte kursieren, er könnte eines Tages in "Erdoğan-Airport" umbenannt werden).

In einer Megaoperation verlegte die halbstaatliche Fluggesellschaft Turkish Airlines in weniger als zwölf Stunden mit 5000 Lastwagen 47.300 Tonnen Material vom Marmarameer zum Schwarzen Meer. Dort liegt der neue Flughafen auf 7650 Hektar – das ist achtmal die Fläche des alten.

Nach 20 Minuten hat das Taxi die Stadt verlassen. Eine neue Autobahn führt Richtung Nordwesten zum Schwarzen Meer durch eine wilde, vom vielen Regen grüne Waldlandschaft. Über 650.000 Bäume sind für den neuen Flughafen gefällt worden. Der Bau habe nicht nur die Brutgebiete von Vögeln zerstört, klagen Umweltschützer, sondern gefährde auch die Grundwasserversorgung der 16-Millionen-Stadt – von der Luftverschmutzung einmal ganz zu schweigen.

Auf dem Weg zur Weltspitze

In einer ersten Phase sollen zunächst pro Jahr 90 Millionen Passagiere abgefertigt werden. Das katapultiert den Flughafen Istanbul in die Top Ten der größten Airports der Welt. Bis 2028 soll dann die Kapazität auf 200 Millionen ausgeweitet werden, was den Airport Istanbul (IST) zum größten Flughafen der Welt machen würde.

Tatsächlich profitiert der Flughafen von seiner herausragenden geografischen Lage. Zwischen den Megaflughäfen in Fernost und den vier großen Flughäfen in Westeuropa – London, Paris, Amsterdam und Frankfurt – liegt nur noch Dubai. Der neue IST dürfte also tatsächlich schnell zu einem der wichtigsten Drehkreuze der Welt werden – wenn keine Wirtschaftskrise dazwischenkommt.

Das Terminal ist ein kuppelartiger, elegant-geschwungener Bau mit viel Stahl und Bling-Bling – die typisch islamisch angehauchte Architektur der Erdoğan-Ära –, aber eben auch lichter und großzügiger als die stickigen Hallen des Vorgängers. Ansonsten hat sich tatsächlich nicht viel geändert: Die Schlangen an der Passkontrolle gibt es immer noch, und die Fahrt hat 45 Minuten gedauert. (Philipp Mattheis aus Istanbul, 15.5.2019)