Dass nicht jedes Kind gleich viel wert ist, wenn es um die Sozialhilfe geht, könnte dazu führen, dass das neue Gesetz vom Verfassungsgerichtshof gekippt wird.

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Hält am Entwurf fest: Sozialministerin Hartinger-Klein.

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Wien – Er gehe "hohe Wetten ein: Das wird vorm Europäischen Gerichtshof nicht Bestand haben", sagt Sozialrechtsprofessor Walter Pfeil von der Uni Salzburg. Das neue Grundsatzgesetz zur Abschaffung der Mindestsicherung und der Einführung der Sozialhilfe sei in mehreren Punkten verfassungs- beziehungsweise unionsrechswidrig, so Pfeil, der auf SPÖ-Einladung im Expertenhearing im Sozialausschuss des Nationalrats am Montag befragt wurde.

Die Bundesregierung will bei ihrem viel kritisierten Sozialhilfe-Gesetz nachbessern. Das hat die zuständige Ministerin Hartinger-Klein am Montag im parlamentarischen Sozialausschuss angekündigt. Dort haben die von den Parteien geladenen Fachleute die verhärteten Fronten nicht aufweichen können. Viel Kritik an dem Gesetz bleibt auch nach dem Ausschuss aufrecht.
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Dass Personen nichtdeutscher Muttersprache einen Deutschtest vom Niveau B1 bestehen müssen, um die volle Sozialhilfe zu bekommen, widerspreche der Statusrichtlinie der EU. Die besagt, dass Asylberechtigte den jeweiligen Staatsbürgern eines Mitgliedslands gleichgestellt werden müssen. Das sei hier eben nicht der Fall.

Nicht jedes Kind gleich viel wert

Auch die Deckelung der Sozialhilfe bei Mehrkindfamilien widerspreche verfassungsrechtlichen Vorgaben: Wenn etwa das drittgeborene Kind deutlich weniger Unterstützung erhält als das erstgeborene, dann sei das eine unsachliche Differenzierung und somit verfassungswidrig.

Und zuletzt sei auch die Tatsache, dass der Bund über den Weg der Gesetzgebung im Bereich Armenwesen zugleich fremdenrechtliche – Stichwort Sprachprüfung B1 – und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen ergreifen will, eine klare Kompetenzüberschreitung und somit ebenfalls nicht verfassungskonform.

Diese Problematik sieht auch Nikolaus Dimmel von der Uni Salzburg, der von der Liste Jetzt eingeladen worden war. Der Politikwissenschafter sieht zudem einen "aberwitzigen bürokratischen Aufwand" auf Länder und Gemeinden zukommen, den sich diese Gebietskörperschaften wohl oder übel im Zuge des Finanzausgleichs wieder zurückholen würden, so Dimmel.

WU-Sozialpolitik-Professorin Karin Heitzmann (SPÖ-Einladung) warnt ebenfalls vor hohen Folgekosten: Das neue Gesetz drohe zu einer "Verfestigung von Armut" zu führen und sogar das Risiko, arbeitslos zu werden, langfristig zu erhöhen. Das sei nicht nur aus Sicht der Betroffenen problematisch, sondern auch gesamtgesellschaftlich ein Problem – und letztlich teuer.

Treffsicherheit

Dem widerspricht Elisabeth Bruckmüller aus dem Kabinett von Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ): Durch das neue Modell werde die "Treffsicherheit" der Sozialhilfe erhöht. Bruckmüller glaubt, dass die Bindung der Sozialhilfe an das Bestehen eines Deutschtests dazu "beitragen wird, dass Migranten schneller Deutsch lernen".

Arbeitsrechtler Wolfgang Mazal, der von der ÖVP eingeladen worden ist, sagt den Kritikern, dass "auch bisher nicht alles in Butter" war, was die Mindestsicherung betrifft. Er hat bei der neuen Regelung keine verfassungsrechtlichen Bedenken und sieht vor allem im vermehrten Einsatz von Sachleistungen einen Fortschritt. Dem pflichtet der von den Neos geladene Ökonom Wolfgang Nagl bei – wobei sich der Vertreter des Thinktanks Agenda Austria sogar noch mehr Sach- und weniger Geldleistungen gewünscht hätte.

Die Regierungsparteien segneten die Reform jedenfalls am Ende des Tages im Sozialausschuss ab. Zuvor wurde noch angekündigt, dass Spenden jedenfalls nicht auf die Sozialhilfe angerechnet werden sollen. Ein Beschluss im Nationalrat ist für den 25. April geplant. Das Gesetz wird dann mit 1. Juni in Kraft treten. Die Länder haben dann bis Ende des Jahres Zeit, um Ausführungsgesetze zu beschließen. (sterk, 15.4.2019)