Emil Nolde war Anhänger des Nationalsozialismus. Dennoch wurde sein Gemälde "Die Sünderin" (links oben) bei der Schau "Entartete Kunst" 1938 (Joseph Goebbels, Mitte) gezeigt.

Foto: Nolde-Stiftung Seebüll, Zentralarchiv Staatliche Museen zu Berlin

Emil Noldes Gemälde "Die Sünderin" (1926), das in der Schau "Entartete Kunst" 1938 gezeigt wurde.

Foto: Nolde Stiftung Seebüll / Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Jörg P. Anders

Emil Noldes Gemälde "Verlorenes Paradies" (1921).

Foto: Nolde Stiftung Seebüll / Fotowerkstatt Elke Walford und Dirk Dunkelberg

Das Aquarell "Gaut der Rote" malte Emil Nolde vor/um 1938.

Foto: Nolde Stiftung Seebüll / Dirk Dunkelberg

"Ein Drama ist abgerollt. Hitler lebt nicht mehr." Mit diesen Worten notierte der Maler Emil Nolde am 4. Mai 1945 das Ende des Zweiten Weltkriegs. Die deutsche Niederlage vermochte er ausschließlich als Demütigung und in einem größeren Zusammenhang zu sehen: "Armes Deutschland, liebes Deutschland, mit deiner Urkraft, mit deinem Idealismus gegen sexfache [sic!] Übermacht in zweien Weltkriegen u. beide verloren."

Für Nolde hätte das Ende des nationalsozialistischen Regimes eigentlich eine Erleichterung bedeuten müssen, immerhin war er 1941 aus der Reichskunstkammer ausgeschlossen worden, und 1937 war er sogar Teil der Ausstellung Entartete Kunst, konnte dann aber erwirken, dass er aus diesem denunzierenden Kanon, gegen den die Nazis ihre eigene Kunst etablieren wollten, wieder herausgenommen wurde.

Politische Schau

Emil Nolde war während der NS-Jahre keineswegs im Widerstand oder auch nur in der inneren Emigration (wie es der Roman Deutschstunde von Siegfried Lenz suggeriert), er war aber auch kein Staatskünstler.

In jedem Fall ist er bis heute einer der Lieblingsmaler der Deutschen, wie man seit vergangenen Freitag an den Besucherzahlen der Ausstellung Emil Nolde. Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus im Hamburger Bahnhof in Berlin sehen kann. Es ist eine brisante Schau nicht zuletzt deswegen, weil zwei Werke direkt aus dem Arbeitszimmer der deutschen Kanzlerin kommen: Angela Merkel hatte dreizehn Jahre lang Blumengarten (Thersens Haus) (1915) und Brecher (1936) um sich, das Bild Hohe Wogen (1940) bezeichnete sie einmal als ihr Lieblingsgemälde.

Antisemitisch motiviert

Nolde war ein (nord)deutscher Künstler im Nationalsozialismus. Für die biederen Doktrinen der NS-Kunstpolitik galt er als zu expressionistisch, das hinderte ihn und seine Frau Ada aber nicht, große Hoffnungen in den Nationalsozialismus zu setzen. In erster Linie waren diese Hoffnungen antisemitisch motiviert: Nolde befassten klassische Weltverschwörungstheorien, er glaubte an eine "seltsame Verbindung Sowjet und Kurfürstendamm", die Revolution in Russland sah er als jüdisches Projekt mit dem Ziel der Erlangung der "Weltmacht".

Diese und vergleichbare Zitate kann man in der Ausstellung in Vitrinen in Originaldokumenten lesen. Die beiden Kunsthistoriker Bernhard Fulda und Aya Soika haben eine angemessen komplexe Dramaturgie entwickelt: Nolde wird hier auf mehreren Ebenen neu erschlossen. Sein Antisemitismus war ja nicht unbekannt, hier gibt es nun aber zahlreiche Hinweise zu dem Ausmaß seiner ideologischen Radikalität.

Deutsche Legende

Die historischen Belege werden geschickt mit künstlerischen Positionen von Nolde verbunden. Denn der Fall ist ja deswegen so spannend (und aufschlussreich), weil sich darin nicht nur Kunstdebatten aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts fast schon paradigmatisch widerspiegeln – auch die junge Bundesrepublik kann sich hier wiedererkennen. Hier entstand ja erst die deutsche Legende, von der die Ausstellung in ihrem Titel spricht.

Die berühmten Ungemalten Bilder, auf denen Noldes Ruf als NS-Gegner beruht, werden hier folgerichtig als Ausrisse aus einem Kunstband präsentiert, denn in dieser Form wurden sie nach dem Krieg quasi Inventar des geistigen Haushalts der BRD. Die Umstände dieser Aquarelle, die Nolde im nordfriesischen Seebüll während des Kriegs malte, ließen sich hervorragend für eine Innerlichkeitserzählung instrumentalisieren.

Weltanschaulicher Extremist

Dagegen liegen nun zahlreiche Dokumente (auch in zwei umfangreichen Katalogbänden) vor, die Nolde als einen weltanschaulichen Extremisten ausweisen, der nach dem Krieg sorgfältig selbst an einer entlastenden Legende gearbeitet hat. An dem Bild Jesus und die Schriftgelehrten (1951) machen die Ausstellungsmacher deutlich, dass Nolde seine eigenen antijüdischen Karikaturen, von denen er ursprünglich ausging, später bewusst übermalte. Von diesen frühen Bildern führt aber eine deutsche Linie bis zu dem Film Jud Süß und dem Propagandablatt Der Stürmer.

Das Drama von Emil Nolde ist mit dieser Berliner Ausstellung in aller Form aufgerollt, und Deutschland kann in diesem Sommer ein weiteres wichtiges Kapitel der Vergangenheitsbewältigung absolvieren. (Bert Rebhandl, 17.4.2019)