Der berühmte Biograf und berüchtigte Lebemann Larry "Ratso" Sloman fügt seiner Vita eine hübsche Fußnote an: Er veröffentlicht sein Debütalbum.

Foto: William Beaucardet / Lucky Numbers Records

Typen wie Larry Sloman tauchen oft in Büchern auf. Zumindest in solchen, in denen zerknautschte, halbseidene Figuren vorkommen, denen von ihren Schöpfern kein anderes Talent zugeschrieben wird als das der unangenehmen Geruchsbildung. Wenn er sich an die Bar setzt, werden die Plätze links und rechts von ihm wie von selbst frei. Er könnte ohne Garderobenwechsel einen Buchmacher in einem John-Cassavetes-Film geben, einen Geldeintreiber aus der Vorstadt oder die Rolle eines Grabredners in einem Tom-Waits-Lied übernehmen. So etwas Ähnliches tut er nun tatsächlich.

Larry Sloman hat eben sein erstes Album veröffentlicht. Es heißt Stubborn Heart – stures Herz – und ist Gold. Zumindest ist es in goldenem Vinyl erschienen. Das ist stimmig, denn goldenes Plastik wirkt ein bisschen billig. Das Image, mit der Hygiene ein nur legeres Verhältnis zu pflegen, kultiviert Sloman schon lange, es hat ihm sogar seinen Spitznamen eingebracht.

Auf Tour mit Bob Dylan

Als er in 1975 Bob Dylans Rolling Thunder Tour als Journalist für das Magazin Rolling Stone begleitete, gab ihm die Folkmusikerin Joan Baez den Namen Ratso. So wurde der windige Charakter des Dustin Hoffman im Filmklassiker Midnight Cowboy gerufen. Sloman war als heiterer Tourchronist von Substanzen und Schlaflosigkeit gezeichnet, als er Baez vor die Füße fiel und fragte, ob er sie denn an Hoffman erinnere. "Nein", sagte sie, "bloß an Ratso". Seit damals klebt der Name an ihm wie ein Stück Klopapier an einer Schuhsohle. Doch das ist nur die ungepflegte Seite der Medaille.

Duett mit Nick Cave

Nachdem er die Tour überstanden hatte, duschte er und schrieb das Buch On the Road with Bob Dylan. Klassiker. Dylan hat ihn zudem ermutigt, selber Songs zu schreiben, nachdem er ihm einen Entwurf gezeigt hatte. Sloman machte sich einen Namen. Er zog nicht nur Fliegen an, der Hipster mit der wilden Mähne befreundete sich mit Figuren wie dem texanischen Musiker und Autor Kinky Friedman. Der in dessen Detektiv-Romanen immer wieder auftauchende Charakter Ratso hat in ihm seine lebendige Vorlage.

Im richtigen Leben zog er mit Leonard Cohen oder Tom Waits um die Häuser, war "high and low" zugleich, ein Punk im Jetset. Er fischte mit den Fingern Eiswürfel aus Rudy Giulianis Drink und schrieb Songs mit John Cale.

Dirty old man

Jetzt singt er selber welche, einen mit Nick Cave. Die Ballade Our Lady Of The Night ist ein Duett, in dem Sloman den Charles Bukowski gibt – wobei der Popmusik ja verachtet hat.

Im Duett mit Nick Cave illustriert er zugleich das Cover seines Albums: Our Lady Of The Night.
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Das Cover zeigt den 68-Jährigen mit einer Dame im Abendkleid. Die Farben sind übersteuert, die Anmutung zuhälterisch. Das steigert den Edelgrind, von dem sich Cave so angezogen fühlt. Und Ratso spielt die Rolle seines Lebens: den schmutzigen alten Mann. Dabei enttarnt seine Musik dieses Spiel als das, was es ist: als Koketterie. Denn Sloman ist natürlich ein feinfühliger, gescheiter und witziger Typ.

Einserschüler und Aktivist

Geboren wurde er 1950 im New Yorker Stadtteil Queens in die Mittelschicht. Seine Eltern beschreibt er als aus der Ferne vom Holocaust traumatisierte Juden. Noch lange bevor er Ratso wurde, begann er schon als Teenager die Identität zu wechseln: Vormittags war er Einserschüler am College, am Nachmittag zog er mit den Hippies durchs Greenwich Village und protestierte gegen den Vietnamkrieg. Die Gegenkultur absorbierte ihn, und er lernte Leute wie Abbie Hofmann kennen. Der politische Aktivist wurde ihm ein Vorbild; nie zuvor hatte er einen so selbstbewussten Juden erlebt.

"Dying on the Vine"

Sloman studierte dann Soziologie und Kriminologie, doch anstatt der akademischen Laufbahn eine Chance zu geben, ergab er sich der Musik. Er heuerte beim Rolling Stone an, schrieb ein Buch über die Marihuana-Kultur und traf in den frühen 1980ern John Cale. Der schon damals legendäre Musiker (The Velvet Underground) durchlebte gerade eine selbstzerstörerische Zeit. Gemeinsam schrieben sie Songs für Cales Carribean Sunset und Artificial Intelligence. Cales vielleicht schönste Ballade hat Sloman geschrieben: Dying On The Vine.

Larry Sloman: "Nichts berührt mich mehr, als wenn John Cale ein Lied von mir singt."
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Auf Stubborn Heart singt er das Lied nun selbst, ebenso den Titelsong von Carribean Sunset. Dabei brummt er wie Leonard Cohen, ein Leonard Cohen auf Helium.

Zu der Zeit wurde er auch Mitherausgeber des Satire-Magazins National Lampoon. Popgeschichte schrieb er dann in den 1990ern als Verfasser von Howard Sterns Autobiografien Private Parts und der Fortsetzung Miss America. Stern war der damals populärste und umstrittenste Radiomacher der USA, die Bücher wurden Millionenseller und in Hollywood verfilmt, Ratso war ein gemachter Mann.

Peter Criss und Harry Houdini

Er hat die Biografien von Anthony Kiedis (Red Hot Chili Peppers) geschrieben, Peter Criss von Kiss, dem Entfesselungskünstler Harry Houdini, dem Magier David Blaine oder Mike Tyson. Tyson schickte er ein Buch ins Gefängnis, in dem Iron Mike wegen Vergewaltigung saß. Sloman war von Tysons Unschuld überzeugt und sandte ihm Ecce Homo von Friedrich Nietzsche.

Als der Boxer 15 Jahre später seine Biografie schreiben wollte, war Sloman einer der Kandidaten für den Job. Er fragte Tyson, ob er sich an das Buch erinnern könne, das er ihm geschickt hatte. Tyson sagte, ja, es habe ihm gefallen und fragte, warum er es ihm geschickt hatte. Sloman sagte, er wäre der Meinung, dass Tyson Opfer eines Justizskandals gewesen sei, und ihm hätte das Buch in schwierigen Zeiten immer geholfen. Sloman bekam den Job, das Buch wurde ein Bestseller.

Wer will das nicht? I Want Everything.
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Stubborn Heart wird eher kein Bestseller werden, doch es ist eine charmante Platte eines charismatischen Lebemanns. Zwar wird das Werk der Figur Ratso zugeschrieben, doch die Gefühligkeit des Larry Sloman schimmert deutlich durch. Man spürt seine Hingabe zur Musik. In einem Interview sagte er einmal: "Wenn bei Barnes & Nobles meine Bücher meterweise in der Auslage stehen, freut mich das, aber nichts berührt mich mehr, als wenn John Cale ein Lied von mir singt." (Karl Fluch, 19.4.2019)