Böses Ei oder gutes Ei? Das Cholesterin im Dotter spielt wahrscheinlich nur eine untergeordnete Rolle für den Cholesterinstoffwechsel. Den größten Anteil produziert die Leber selbst.

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Das Ei ist ein perfektes Lebensmittel. Es lässt sich verrühren, pochieren, braten, kochen oder in Mehlspeisen verbacken. Es enthält Wasser, Eiweiß, ungesättigte Fettsäuren, Lecithin, Folsäure, die Vitamine A, D, E, K, B2, B12 und Mineralstoffe wie Natrium, Kalium, Kalzium, Magnesium, Eisen und Zink. Ein idealer Nährstoffcocktail, der sowohl heranreifende Küken als auch Menschen versorgt.

Eine Substanz kratzt allerdings immer wieder am positiven Image: das Cholesterin. Zwischen 250 und 280 Milligramm sind im Dotter enthalten, die Empfehlung laut österreichischer Ernährungspyramide liegt deshalb bei maximal drei Eiern pro Woche. Das Argument für den maßvollen Genuss: Erhöhte LDL-Cholesterinwerte im Blut können das Risiko für Atherosklerose, Herzinfarkt und Schlaganfall steigern.

Gefährliches Ei

Auch eine aktuelle Metaanalyse scheint die Gefahr, die im Ei sitzt, auf den ersten Blick zu bestätigen. Insgesamt werteten Wissenschafter der Northwestern University in Illinois die Daten zum Ernährungsverhalten von 29.600 Probanden über eine Zeitspanne von im Schnitt 17,7 Jahren aus. Das Ergebnis: Pro 300 Milligramm Cholesterinzufuhr in Lebensmitteln pro Tag nahm das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen absolut um drei Prozent zu, die Wahrscheinlichkeit für einen vorzeitigen Tod stieg um vier Prozent. Dabei spielte es keine Rolle, ob das Cholesterin vorwiegend über Eier oder andere Lebensmittel aufgenommen wurde.

Das große Manko der Untersuchung: Es handelt sich um eine Metaanalyse von Beobachtungsstudien, in der lediglich Zusammenhänge festgestellt wurden. "Es ist äußerst schwierig, eine Substanz oder ein Lebensmittel für irgendeinen gesundheitlichen Effekt verantwortlich zu machen. Wer daraus Empfehlungen ableitet, lehnt sich zu weit aus dem Fenster ", sagt Jürgen König, Leiter des Instituts für Ernährungswissenschaften der Uni Wien.

Die Rolle des Specks

Sicher ist: Gesundheit wird von mehreren Faktoren beeinflusst, das zeigte auch die aktuelle Auswertung. Demnach pflegten jene Menschen, die häufig Eier aßen, generell einen ungesünderen Lebensstil. Sie rauchten eher und waren öfter fettleibig, zudem verzehrten sie auch mehr verarbeitetes Fleisch. "Wir wissen, dass vor allem gesättigte Fette, die etwa in Speck und Wurst enthalten sind, den Cholesterinspiegel im Blut erhöhen", betont König.

Es könnte also vor allem die Kombination aus gebratenem Speck, der mit dem Spiegelei serviert wurde, und der Zigarette danach für das erhöhte kardiovaskuläre Risiko verantwortlich sein. Die Studienautoren geben außerdem zu bedenken, dass die Daten zur Ernährung auf Eigenangaben der Teilnehmer beruhen und nicht kontrolliert wurde, ob die Probanden ihr Essverhalten im Laufe der Zeit umgestellt hatten.

Grenzwerte ohne Evidenz

So überrascht es auch nicht, dass mehrere Untersuchungen dem Ei gesundheitsfördernde Eigenschaften attestieren. Im Vorjahr veröffentlichte etwa ein britisch-chinesisches Forscherteam eine Studie im Fachblatt Heart, in der sich das Frühstücksei als idealer Start in den Tag entpuppte. Für die Studie waren rund eine halbe Million gesunde Erwachsene während knapp neun Jahren untersucht worden. Jene Probanden, die täglich ein Ei aßen, hatten ein niedrigeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen als Menschen, die wenig oder keinen Gusto auf das Gelbe im Ei hatten. Doch auch hier gilt: Die Beobachtung eines Effekts ist nicht gleichzusetzen mit Kausalität.

Was dennoch für das Ei spricht: Wissenschafter zweifeln zunehmend am empfohlenen Grenzwert von maximal 300 Milligramm Cholesterin, das über Lebensmittel aufgenommen werden soll. Die Amerikanische Herzgesellschaft (AHA) verabschiedete sich bereits im Jahr 2015 von diesem Dogma. Es fehle der wissenschaftliche Nachweis dafür, dass die Cholesterinzufuhr mit der Ernährung oder speziell mit Eiern einen wesentlichen Einfluss auf das kardiovaskuläre Risiko habe, lautete die Begründung. Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hält diesen Grenzwert mittlerweile nicht mehr für zeitgemäß.

Es liegt auch an den Genen

Das wichtigste Argument für die Abkehr von solchen Empfehlungen liegt aber im menschlichen Körper selbst, der bis zu 90 Prozent des Cholesterins selbst erzeugt. "Cholesterin an sich ist nicht schlecht – im Gegenteil, wir brauchen es als lebensnotwendigen Baustein für die Herstellung von Gallensäuren, die wichtig für die Fettverdauung sind, und zur Produktion verschiedener Hormone" erklärt Ernährungswissenschafter König.

Vor allem die Gene bestimmen, wie viel Cholesterin der menschliche Organismus produziert und wie gut überschüssige Mengen abgebaut werden. Wie viel Cholesterin über die Nahrung aufgenommen wird, ist ebenfalls Veranlagungssache. Sogenannte Low-Absorber verwerten Cholesterin aus der Nahrung weniger gut, dadurch steigt auch der Cholesterinspiegel langsamer an. Dass der Verzehr von Eiern nur wenig Einfluss haben dürfte, hat nicht zuletzt mit dem im Dotter enthaltenen Lecithin zu tun, das die Cholesterinaufnahme im Darm hemmt.

Was das Huhn frisst

Ei ist nicht gleich Ei, der Cholesteringehalt hängt auch davon ab, was die Hennen zu fressen bekommen. Fressen Hühner neben Körnern auch Pflanzen, Insekten und Würmer, enthalten ihre Eier bis zu einem Drittel weniger Cholesterin.

Doch wie viele Eier können nun zu Ostern unbedenklich gegessen werden? Jürgen König dazu: "Es ist kein Problem, auch einmal fünf Eier am Tag zu essen. Das ist völlig in Ordnung." (Günther Brandstetter, 20.4.2019)