Unruhen im Stadtteil Creggan von Derry.

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Lyra McKee wurde in der Nacht auf Freitag erschossen.

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Ein politisch motivierter Mord erschüttert Nordirland. Am Rande eines Polizeieinsatzes in einem Republikanerviertel der Stadt Derry (Londonderry) gab in der Nacht zum Karfreitag ein Unbekannter bis zu zehn Schüsse ab. Am Kopf getroffen wurde die Journalistin Lyra McKee, die in der Nähe eines Polizeiautos stand. Im Krankenhaus erlag die 29-Jährige ihren Verletzungen. Die Polizei vermutet die "Neue IRA" hinter dem Anschlag. Premierministerin Theresa May sprach von einem "schockierenden, sinnlosen Mord".

Terroristische Streiter für die Einheit der irischen Insel berufen sich seit langem auf die Irisch -Republikanische Armee, die nach dem Osteraufstand 1916 am Kampf um die Unabhängigkeit Irlands von Großbritannien beteiligt war. Die Terrorgruppe "Offizielle IRA" hat im Gefolge des Karfreitagsabkommens von 1998 ihre Selbstauflösung erklärt. Schon damals gab es Splittergruppen, die der Beendigung des bewaffneten Kampfes nicht zustimmten. Sicherheitsexperten zufolge formierte sich die "Neue IRA" vor sieben Jahren aus Überresten der "Real IRA" sowie der para militärischen Gruppe "Republikanische Aktion gegen Drogen".

"Sie sind nicht willkommen!"

Der Staatsschutz ging Hinweisen nach, denen zufolge militante Republikaner in Derry Waffen gebunkert hätten. Die Razzia im Stadtteil Creggan brachte dutzende Demonstranten auf die Straße. Sie attackierten die Beamten mit Steinen und Molotowcocktails, zwei Autos gingen in Flammen auf. "Derry heute Abend. Totaler Wahnsinn", lautete McKees letzter Tweet vom Tatort; das dazugehörige Foto zeigt im Hintergrund eine Rauchsäule, im Vordergrund die Einsatzfahrzeuge der Polizei.

Wenig später trat Zeugen zufolge der Unbekannte auf die Straße und feuerte jene Schüsse ab, von denen einer die Journalistin tödlich traf. Der Täter habe damit große Schuld auf sich geladen, sagte der Priester Joseph Gormley bei einer Ansprache am Karfreitag: "Sie sind hier nicht willkommen, wir wollen das nicht!"

In Belfast einigten sich die streitenden Parteien Nordirlands auf eine gemeinsame Erklärung: Der Mord stelle "eine Attacke auf uns alle, auf den Frieden und den demokratischen Prozess" dar. Zur Einigkeit trug gewiss auch die Anwesenheit von Nancy Pelosi bei, der Chefin des US-Repräsentantenhauses: Sie teile die Trauer und die Entschlossenheit, "den Täter der Gerechtigkeit zu überführen".

Paketbomben

McKee galt als "eine der vielversprechendsten Journalistinnen" in Nordirland, hieß es in einer Stellungnahme des Berufsverbandes NUJ. Vor fünf Jahren erregte sie Aufsehen mit einem Artikel, der die Schwierigkeit homosexueller Menschen in der tiefkonservativen Provinz beschrieb.

Sie widmete sich außerdem den tiefsitzenden physischen und psychischen Folgen des 30 Jahre währenden Bürgerkrieges, bei dem mehr als 3500 Menschen ums Leben kamen. "Nur weil wir nicht mehr im Krieg sind, bedeutet das noch lange nicht, dass der Schatten der Gewalt den Raum verlassen hat", schrieb die Autorin zweier Bücher über die "Illusion" des Friedens in Nordirland.

Staatsschützer warnen, das Politikvakuum in Belfast sowie die Brexit-Debatte könnten zum Wiederaufflammen der ethnisch-religiösen Spannungen zwischen Katholiken und Protestanten führen. Die Koalition aus katholisch-republikanischer Sinn Féin und der Protestantenpartei DUP führte hier knapp zehn Jahre lang die Geschäfte im britischen Inselnorden, ehe die Regierung vor mehr als zwei Jahren zerbrach. Neuwahlen änderten nichts am Patt. Bis heute trennen in Belfast bis zu vier Meter hohe "Friedenswälle" die verfeindeten Volksgruppen.

Die "Neue IRA" brüstete sich zuletzt mit Paketbomben, die in Manchester und London gefunden wurden. Vor dem Gericht von Derry explodierte zu Jahresbeginn eine Bombe. Nur durch Zufall kam dabei niemand zu Schaden. (Sebastian Borger aus London, 19.4.2019)