Noch während Mitterlehners Präsentation seines Buchs "Haltung – Flagge zeigen in Leben und Politik" am Mittwoch meldete sich Spindelegger mit Tadel zu Wort, etwas später dann auch Pröll.

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Der ehemalige ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner präsentierte am Mittwoch sein Buch – die parteiinternen Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Wo aber bleibt die interne Kritik, wenn es um manch menschenfeindliche Attitüde dieser Regierung geht, fragt der Psychoanalytiker Josef Christian Aigner im Gastkommentar.

Es ist schon bezeichnend, was das Buch Reinhold Mitterlehners über seine Demontage als ÖVP-Chef ausgelöst hat. Es war zwar zu erwarten, dass man ihm gekränkte Eitelkeit vorwirft, dass das aber gerade seine mindestens ebenso erfolglosen Vorgänger Michael Spindelegger und Josef Pröll tun, macht dieses erbärmliche Schauspiel noch erbarmungswürdiger. Ungeachtet dessen nämlich, ob Gekränktheit hier eine Rolle spielt, soll damit das Vorgehen bei der Installation Kurzens offenbar reingewaschen werden. Wenn aber ein abgesetzter Parteichef sich gekränkt fühlt, dann heißt das noch lange nicht, dass alles von ihm Geäußerte nichtig sei. Jedenfalls wird suggeriert, dass Sebastian Kurz und Co wegen des Erfolgs bei den darauffolgenden Wahlen recht getan hatten – ist also alles (moralisch) "in Ordnung", was Erfolg zeitigt? Und diese Regierung will dann anderen eine Moral- und Werteerziehung aufzwingen?

Sündenböcke ...

So wird ja auch betont, die ÖVP sei unter Mitterlehner nur mehr bei 20 Prozent Wähleranteil gelegen, weshalb es sich nicht um Intrigen oder Mobbing handelte, sondern um die "Rettung" der ÖVP. Kann also eine Partei mit ihren Funktionären umspringen, wie sie will, nur wenn der Erfolg stimmt? Und kann man alles, was verunsicherte Wähler hören wollen, ungeachtet der ethischen Grundsätze einer Partei, nur um des Erfolgs willen propagieren? Dann handelt es sich tatsächlich um üblen Populismus. Inhaltlich bestätigt sich das auch, wurde doch etwa das Flüchtlingsthema – gerade von Kurz – bis zum Erbrechen und bei jeder Gelegenheit zur Agenda gemacht, auch als es – wie heute – schon längst kein wirkliches Problem mehr war und nunmehr quantitativ auf den Stand vor der "Flüchtlingskrise" 2015 reduziert ist.

Diese Projektion auf Sündenböcke ist eine zutiefst unmenschliche Strategie, die auch schon rechtere Regime perfekt beherrschten und die allein schon ausreicht, dieser Regierungspartei jegliche Art von "christlich-sozial" abzusprechen. Oft genug haben ja Kardinal Schönborn und diverse Bischöfe mehr als indirekt dieses Vorgehen der Kurz-Regierung verurteilt. Bestenfalls wird dann Andreas Khol, der sich nach seiner katastrophalen Bundespräsidentschaftskandidatur eigentlich aus der Politik zurückziehen wollte, ausgeschickt, um mit seiner an Viktor Orbán erinnernden selbstgestrickten Theologie wieder alles zurechtzurücken nach dem Motto: Was christlich-sozial ist, bestimmen "wir", und zuletzt sind die Stimmen von (in dieser Frage permanent aufgehetzten) Wählern das Entscheidende.

Wo aber bleiben die Ex-ÖVP-Granden oder schwarzen Landeshauptleute mit ihrer internen Kritik – obwohl ich weiß und überzeugt bin, dass auch denen manche menschenfeindliche Attitude dieser Regierung nicht gefällt? Kein Mut, dem Jungkanzler und seinem Kader zu widersprechen? Alle Werte in den Wind schlagen für Kanzlerschaft und Wahlsiege?

Und wo bleiben die Mitterlehner-Kritiker oder schweigenden Landesfürsten zum Beispiel bei den fast wöchentlich aufgedeckten Verbandelungen der mehrheitsbeschaffenden Strache-Partei mit ultrarechten, teilweise nationalsozialistisch anstreifenden Organisationen? Wo äußert sich etwa ein Exobmann oder Landeshauptmann der ÖVP zum unsäglichen Auftritt eines Walter Rosenkranz mit seiner unverfrorenen Leugnung längst nachgewiesener FPÖ-Kontakte und Verflechtungen mit Rechtsextremen in der "ZiB 2"? Kann der Parlamentsklubchef des Koalitionspartners also auch künftig eine Sich-dumm-stellen-Show abliefern, ohne dass den nun mehrigen Mitterlehner-Scheltern auch nur ein Wörtchen dagegen entkommt?

Gerade mal zu dem an Widerlichkeit kaum mehr zu überbietenden Vorschlag der Ausbeutung von gemeinnützig arbeitenden Asylanten zu einem 1,50-Euro-Stundenlohn zeigen die (ehemaligen?) Persönlichkeiten in den schwarzen Bundesländern vergleichsweise schüchtern auf und meinen, sie wären zum doch eher für die bewährten drei bis fünf Euro. Wie großartig!

Liebe Herrn Platter, Haslauer, Schützenhofer, liebe Frau Mikl-Leitner und wie Sie alle heißen (vom blau geknebelten Herrn Stelzer erwarte ich ohnehin nichts): Fällt Ihnen denn nichts anderes zur Erzielung von Wahlerfolgen in Ihren Bundesländern ein, als diesem unwürdigen Treiben trotz teilweise anderer Positionen zuzuschauen und sich diesen bedenklichen Trends von Entmenschlichung wahltaktisch zu unterwerfen?

... und Täuschung

Die wahrlich an optische Täuschung erinnernde Unterstellung, Mitterlehner hätte die ÖVP nach "links" führen wollen, zeigt nur den bedenklichen Zustand in manch einem der ÖVP-Köpfe: Wer dies ernst meint, zeigt nur, dass die entdemokratisierenden und zum Teil boshaft-hartherzigen Maßnahmen heutiger Regierungspolitik gegen Medien, Fluchtbetroffene oder Armutsgefährdete offenbar schon zur "Normalität" gehören. Alle daran Kritik Übenden werden dann folgerichtig als "Linke" diskreditiert – eine ebenfalls bewährte reaktionäre und populistische Art, Kritiker loszuwerden.

Deshalb umso mehr: Respekt für Reinhold Mitterlehner. Er hätte es sicher bequemer ohne sein Buch! (Josef Christian Aigner, 22.4.2019)