Mit ihren Thesen sorgt die 38-jährige Autorin Verena Brunschweiger für heftige Kritik.

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Pädagogin Verena Brunschweiger sieht sich selbst als Radikalfeministin und Kinder als Umweltsünde. Das begründet sie unter anderem mit einer kanadischen Studie, die besagt, dass durch jedes nicht geborene Kind über 58 Tonnen CO2 pro Jahr eingespart werden könnten. In den sozialen Medien sorgte sie bei Erscheinen ihres Buches für heftige Diskussionen.

STANDARD: Frauen werden immer gefragt, warum sie keine Kinder haben. Sollte man Frauen Ihrer Meinung nach umgekehrt fragen, warum sie Kinder haben?

Brunschweiger: Das wäre nur konsequent. Noch besser wäre es jedoch, den Wert von Frauen nicht nach der Anzahl ihrer Kinder zu bemessen. Männer werden ja auch nicht ständig danach gefragt.

STANDARD: Warum trägt Ihr Buch, in dem Sie für Kinderfreiheit eintreten, den Untertitel "Manifest"?

Brunschweiger: Weil mein Buch dem pronatalistischen Deutschland genauso radikal gegenüber tritt wie Marx' "Das Kapital" dem Kapitalismus.

STANDARD: Sie sagen, Kinder zu haben sei egoistisch. Genau dasselbe bekommen aber auch Frauen zu hören, die keine möchten.

Brunschweiger: Das kommt darauf an, wie man Egoismus definiert. Kinderfreiheit hat einige Vorteile für einen selbst, gerade für den weiblichen Körper, den man dadurch nicht belastet. Dagegen behaupten Eltern aber auch, es sei ihre beste Entscheidung gewesen und sie hätten sich ein Kind gewünscht. Beide tun hier etwas für sich selbst.

Erst wenn man das Wohl des Nachwuchses beachtet, erkennt der südafrikanische Philosoph David Benatar dieses eben in der Nichtexistenz. Es ist für Antinatalisten wie ihn amoralisch, einem empfindsamen Wesen das Leben zuzumuten. So betrachtet ist die Fortpflanzung eine sehr egoistische Handlung.

STANDARD: Sie wollen Frauen eine Stimme geben, die sich bewusst gegen Kinder entscheiden, und sie ermutigen, gegen soziale Erwartungen zu rebellieren. Braucht es dafür das Argument des ökologischen Fußabdrucks?

Brunschweiger: Nicht unbedingt, aber angesichts der aktuellen Lage – Zerstörung der Umwelt durch Überbevölkerung – wäre es fahrlässig, diesen Aspekt außen vor zu lassen.

Ein kleiner Fußabdruck am Papier, ein großer für die Umwelt?
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STANDARD: Sie haben selbst mit Ihrem Mann überlegt, ob sie Kinder haben wollen. Sie sagen, dass die kanadische Studie letztendlich ausschlaggebend für Ihre Entscheidung war. Das heißt, ökologische Gründe überwogen persönliche?

Brunschweiger: Feministische und antinatalistische Überlegungen ließen mich bereits vorher zweifeln, ob ich wirklich ein Kind in diese Welt setzen will. Nachdem ich jedoch die Zahlen gesehen hatte und mir klarmachte, was meine Entscheidung für die Umwelt bedeuten würde, wusste ich absolut sicher, ich bleibe kinderfrei.

STANDARD: Ihr Buch hat die Wogen in den sozialen Medien hochgehen lassen. Sie wurden auch sehr angegriffen. Wie gehen Sie damit um?

Brunschweiger: Es gibt auch viele positive Rückmeldungen. Wenn ich zum Beispiel lese, wie mir Frauen schreiben, dass sie meinen Mut bewundern, endlich mal Klartext zu sprechen, gibt mir das natürlich Kraft. Und Kommentare einer bestimmten Gruppe Menschen – die fechten mich prinzipiell nicht an.

STANDARD: Sie wurden damit konfrontiert, alte Thesen zu vertreten und gezielt zu polarisieren, um Ihr Buch zu verkaufen. Was antworten Sie?

Brunschweiger: An keiner Stelle behaupte ich, radikal Neues zu sagen. Dennoch taucht fast nichts davon in der öffentlichen Diskussion auf. Auf jeder Liste von Umweltschutzmaßnahmen in Deutschland fehlt der größtmögliche individuelle Beitrag. Selbst bei der Aufregung um zu hohe Mieten kommt niemand auf die Idee, sich zu fragen, ob es vielleicht einfach zu viele Menschen gibt. Im Gegenteil, es wird ernsthaft vorgeschlagen, mehr Wohnungen zu bauen – ein Wahnsinn, wenn man Umweltschutz ernst nimmt –, anstatt die zur Gewinnmaximierung freistehenden Wohnungen durch politische Maßnahmen dem Markt zuzuführen.

Angesichts dessen finde ich es impertinent, mir Geldgier vorzuwerfen. Es gäbe weit einfachere Methoden, groß rauszukommen. Brust-OP und Nacktbilder brächten mehr Aufmerksamkeit als Gesellschaftskritik. Ich lebe meine – stets auch radikalfeministischen – Überzeugungen und finde es lachhaft, dieses ernsthafte Thema mit einem süffisanten Lächeln vom Tisch wischen zu wollen.

STANDARD: Sie sind Lehrerin. Wie haben Ihre Schüler und vor allem auch die Eltern reagiert, als sie von Ihrem Buch erfahren haben?

Brunschweiger: Die Schülerinnen und Schüler kennen mich ja und sehen das eher gelassen. Unter den Eltern und auch im Kollegium spiegelt sich eben das ganze Spektrum an Meinungen wider, die es zu dem Thema gibt. Ich bekam kürzlich zum Beispiel einen sehr schönen Unterstützerbrief eines Schülervaters. Mein bester Freund, auch Vater – und zwar einer der klugen –, hat gesagt: "Toll, dass du verzichtest, dann hat mein Sohn 2040 einen Konkurrenten weniger im Ressourcenkrieg."

STANDARD: Was antworten Sie Frauen, die unfreiwillig kinderlos sind und Ihr Manifest kritisieren?

Brunschweiger: Kommt auf die Art der Kritik an. Aber einerseits möchte ich schon dazu anregen, über die Ursache des eigenen Kinderwunsches nachzudenken. Ist man zum Beispiel ein Opfer der pronatalistischen Propaganda, die einem jeden Wert abspricht, wenn man nicht kleine Staatsdiener in die Welt setzt? Andererseits spricht doch nichts gegen eine Adoption, wenn man den Kinderwunsch ernst meint.

STANDARD: Sie fordern eine Entschädigung von 50.000 Euro für Frauen, die der Umwelt zuliebe keine Kinder bekommen. Was sagen Sie Kritikern, die damit argumentieren, dass Kinder aber das Pensionssystem aufrechterhalten?

Brunschweiger: Dass sie nicht rechnen können. Das seit Jahrzehnten anhaltende Wirtschaftswachstum produziert immer mehr Güter mit immer weniger Arbeitskraft. Wenn wir dem Kapitalismus ein paar hässliche Zähne ziehen, könnten wir uns auf satte Renten und Pensionen freuen, selbst mit einem Drittel der jetzigen Geburtenrate. Nicht das Rentensystem braucht Einzahler, sondern die Wirtschaft lechzt nach vielen Konsumenten.

STANDARD: Sie sind seit dem Erscheinen Ihres Buches viel gereist. Gibt es im deutschsprachigen Raum je nach Region unterschiedliche Reaktionen auf Ihr Buch?

Brunschweiger: Mir scheint die Stärke der Reaktionen in Österreich und in der Schweiz etwas größer als in Deutschland, aber die Fragen, die mir gestellt werden, unterscheiden sich regional nicht wesentlich. (Marietta Adenberger, 28.4.2019)