Seit es Wissenschaft gibt, waren Publikationen das wesentliche Vehikel, um Wissen systematisch zu sammeln und zu kommunizieren. Neben Büchern spielen dabei wissenschaftliche Fachzeitschriften eine wichtige Rolle – und das schon seit vielen Jahren. Mitte des 17. Jahrhunderts begannen das französische "Journal des sçavans" und die englischen "Philosophical Transactions of the Royal Society" damit, Forschungsergebnisse regelmäßig zu veröffentlichen. Seither sind tausende Zeitschriften entstanden, und laufend kommen neue auf den Markt.

Markt ist auch das Stichwort, warum die Wissenschaftsjournale in den vergangenen Jahren zunehmend in die Kritik geraten sind. Vielen Wissenschaftern missfällt das Geschäftsmodell der Verlage, wonach Wissenschafter unentgeltlich die Artikel schreiben und kostenlos das aufwendige Begutachtungsverfahren durchführen. Um auf diese Arbeiten aber auch zugreifen zu können, müssen die Bibliotheken der Forschungsinstitutionen viel Geld bezahlen, und letztlich streifen Wissenschaftsverlage saftige Renditen ein, jedenfalls Riesen wie Elsevier.

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Das etablierte Publikationssystem in der Wissenschaft ist so eng mit dem akademischen Betrieb verflochten, dass Veränderungen schwierig sind.
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S wie Science, Speed, Shock

Seit einigen Monaten wird die Debatte durch eine neue Initiative stimuliert, der nachgesagt wird, sie könnte tatsächlich die große Veränderung im wissenschaftlichen Publikationswesen bringen. Es geht um den sogenannten Plan S – wobei das S wahlweise für Science, Speed, Solution, Shock oder den Nachnamen des Initiators Robert-Jan Smits stehen kann (DER STANDARD berichtete).

Hauptziel des Plans ist, dass ab 2020 alle wissenschaftliche Publikationen aus staatlich finanzierten Forschungsprojekten Open Access erscheinen (siehe Hintergrund unten) – also für jede Person weltweit frei zugänglich, sofern ein Internetzugang vorhanden ist. Was Plan S so aussichtsreich macht, ist, dass er dort ansetzt, wo ein beträchtlicher Teil des Geldes herkommt, der das System am Laufen hält: bei den Forschungsförderern. Ziel ist, möglichst viele Fördergeber davon zu überzeugen, Plan S zu unterschreiben. Der österreichische Wissenschaftsfonds FWF zählt zu den Erstunterzeichnern. Diese Fördergeber können die Forscher, die sich bei ihnen um Gelder bemühen, dazu verpflichten, Publikationen aus diesen geförderten Projekten Plans-S-konform zu publizieren.

Bereits jetzt hat Plan S jedenfalls eine breite Debatte darüber in Gang gesetzt, wie wissenschaftliche Ergebnisse veröffentlicht werden und sollten. Auch das Symposium "Rethinking Academia: The scientific publishing system and the strive for open accessibility", das am 29. April an der Uni Wien stattfindet, widmet sich dem Publikationswesen und dem Zugang zu wissenschaftlichen Ergebnissen.

Durchbrüche hinter Paywall

Einer der Vortragenden des Symposiums ist Toma Susi, Assistenzprofessor an der Fakultät für Physik der Universität Wien. Seit rund zehn Jahren engagiert sich der gebürtige Finne in der Open-Access-Bewegung. Bereits 2001 wurde mit der sogenannten Budapest Open Access Initiative die Forderung erhoben, dass Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit frei zugänglich gemacht werden sollten. Dennoch werden viele der wichtigsten Arbeiten bis heute in prestigeträchtigen Journalen wie "Nature" oder "Science" publiziert, wodurch sie hinter der Paywall landen.

Der Hauptgrund dafür liegt darin, dass Veröffentlichungen in renommierten Zeitschriften ein entscheidendes Kriterium sind, an wen eine Stelle im akademischen Betrieb vergeben wird. Die Verschränkung von höchst unterschiedlichen Faktoren ist es auch, was es so schwer macht, das Publikationssystem zu verändern.

Karriere von Nachwuchsforschern

Toma Susi selbst hat zwar nie in "Nature" oder "Science" publiziert, dennoch konnte er einen prestige-trächtigen ERC-Grant des Europäischen Forschungsrates einwerben und erhielt eine Tenure-Track-Stelle an der Universität Wien.

Eine Kritik am Plan S lautet, dass er die Karrieren von Nachwuchsforschern gefährden könnte. Wird deren Forschung von einem Plan- S-Unterzeichner gefördert, dürften sie etwa keine Veröffentlichungen dazu in "Nature" oder "Science" machen. Susi hält entgegen, dass diese Zeitschriften ihre Policy schnell ändern und ihren Autoren zumindest erlauben könnten, einen Preprint auf einem offenen Portal wie arXiv online zu stellen. Susi sagt aber auch: "Obwohl sie nicht die Mächtigsten im System sind, setzen sich gerade die Jungen für Veränderung ein – sie sollen aber nicht ihre Karriere für Plan S aufs Spiel setzen müssen."

Interesse aus China und Kalifornien

An der Uni Wien hat man sich angesehen, wie Plan-S-konform der Fachbereich Physik jetzt schon wäre. Für die vergangenen Jahre zeigt sich, dass rund 50 Prozent der Publikationen in Zeitschriften, die den Regeln von Plan S entsprochen hätten, veröffentlicht wurden, sagt Brigitte Kromp, Leiterin der Zentralbibliothek für Physik, die ebenfalls einen Vortrag beim Symposium "Rethinking Academia" hält.

Ob die Initiative tatsächlich ein Erfolg wird, hängt entscheidend davon ab, wie viele Fördergeber Plan S letztlich unterschreiben. Bleibt die Initiative eine rein europäische Angelegenheit, ist das Argument kaum zu entkräften, dass sie einen Wettbewerbsnachteil für europäische Wissenschafter bringt. Zuletzt hat allerdings auch China Interesse an der Initiative bekundet. Ob die Chinesen tatsächlich unterschreiben, bleibt abzuwarten. Zudem hat sich die University of California, die für rund zehn Prozent der Veröffentlichungen in den USA verantwortlich ist, für Open Access starkgemacht. Zuletzt sind Verhandlungen zwischen Elsevier und der University of California auch am freien Zugang gescheitert.

Open-Access-Abkommen

Vonseiten der Universitäten gab es in den vergangenen Jahren immer wieder Bemühungen, die Wissenschaftsverlage in Richtung Open Access zu bewegen. Konkret ermöglicht wird das etwa durch sogenannte transformative Abkommen: Bislang zahlten die Unis dafür, bestimmte Zeitschriften zu abonnieren. Bei einem transformativen Abkommen zahlen die Unis auch dafür, dass ihre Forscher in den jeweiligen Journalen Open Access publizieren. Im Gegenzug verringern sich die Kosten für Abos.

Das Konsortium E-Medien Österreich, das für die österreichischen Forschungsinstitutionen verhandelt, konnte bislang zehn transformative Abkommen mit Verlagsriesen wie Springer, Wiley, Taylor & Francis und anderen abschließen, berichtet Kromp. Österreich zählt damit mit den Niederlanden zu den Vorreitern darin, die Verlage immer stärker zu Open Access zu verpflichten. Unterstützt wird das auch vom Open-Access-affinen Wissenschaftsfonds FWF.

Die Unzufriedenheit mit dem aktuellen Publikationswesen treibt manche Wissenschafter dazu, ihr eigenes Journal zu gründen. So auch Jean-Sébastien Caux, Physiker an der Universität Amsterdam, der das Portal "SciPost" lancierte und dabei auch vom FWF unterstützt worden ist. Alle Artikel, die via "SciPost" publiziert werden, sind frei online zugänglich, die Autoren müssen für die Publikation nicht bezahlen, und das Copyright für die Artikel bleibt bei ihnen, auch der Peer-Review-Prozess wird anders organisiert als bei herkömmlichen Wissenschaftsverlagen.

Veränderung von unten

In der Anfangsphase bestand die Herausforderung für Caux darin, etablierte Forscher zu überzeugen, ihre Arbeiten in "SciPost" zu veröffentlichen. "Diese Personen haben alles erreicht, sie können es sich leisten, ihre Arbeiten in einem neuen System zu veröffentlichen, um dort Qualitätsmaßstäbe zu setzen", sagt Caux. Als immer mehr Nachwuchsforscher Artikel einreichten, begann er, sie nach ihrer Motivation zu befragen, und die Antwort lautete recht einhellig: "Denkst du wirklich, wir glauben, dass die alten Leute das System verändern werden? Wenn wir eine Veränderung wollen, dann müssen wir jetzt damit beginnen – sonst stecken wir die nächsten Jahrzehnte in diesem System fest."

Cauxs Empfehlung an Jungwissenschafter lautet folglich auch: "Es ist jetzt etwas in der Luft, was Veränderung möglich macht. Wenn sich Nachwuchsforscher für ein neues, besseres System als das jetzige entscheiden, werden sich rasch Veränderungen einstellen." (Tanja Traxler, 25.4.2019)