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Präsident Erdoğan zu Besuch bei Putin am 8. April.

Foto: Reuters/Shipenkov

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan galt Kennern nie als Islamist – dazu ist der Politiker zu pragmatisch. Wenn es ihm und seinem Machtstreben nützt, kündigt er Allianzen auf und vollzieht Kehrtwenden, zu denen ein fundamentalistischer Ideologe nicht fähig ist.

Insofern ist es spannend, ob und wie sich Ankara aus dem selbstverschuldeten Schlamassel um den Kauf des russischen Raketenabwehrsystems S-400 wieder hinausmanövrieren wird. Das Land ist schließlich Nato-Mitglied – und kein unwichtiges. Es liegt an einer geostrategischen Schlüsselposition und verfügt zudem über die zweitgrößte (wenn auch wahrscheinlich nicht zweitstärkste) Armee des Bündnisses. Verständlich also aus amerikanischer Sicht, dass sich ein solcher Partner auch gefälligst mit amerikanischen Waffensystemen auszustatten hat. Da das russische mobile Raketenabwehrsystem S-400 als technisch ausgereifter als das amerikanische Konkurrenzprodukt Patriot gilt, hat Ankara einen Deal mit Präsident Wladimir Putin eingefädelt. Hinzu kommt der Preis: Das S-400 ist mit 2,5 Milliarden US-Dollar gut eine Milliarde billiger als das Patriot-System.

Eskalation

Washington befürchtet, Moskau könne über das S-400 Einblick in westliche Waffensysteme bekommen, und dreht deswegen an der Eskalationsschraube. Im März kündigten die USA an, die Türkei aus den Lieferketten des Kampfjets F-35 zu schmeißen. Damit müsste Ankara auch auf die Jets verzichten.

Wir können kaufen, was wir wollen, tönt es aus Ankara. "Diejenigen, die uns von unseren Plänen abbringen wollen, kennen uns nicht!", sagte Erdoğan Anfang April. Und erst am Montag betonte Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu nochmals die türkische Position.

Wirtschaftskrise

Sollte Ankara stur bleiben, steht einiges auf dem Spiel – im Extremfall sogar die Nato-Mitgliedschaft. Eine neue Sanktionsrunde könnte die türkische Lira wieder auf Sinkflug schicken und die ohnehin schon plagende Wirtschaftskrise weiter verschlimmern.

Hinter den Kulissen aber ist einiges in Bewegung. Seit Wochen pendeln Delegationen zwischen Ankara und Washington. Die Türkei will zumindest versuchen, den Rücktritt vom Deal mit Moskau gewinnbringend zu nutzen. So erhofft sich Ankara endlich die langersehnte Sicherheitszone in Syrien. Ein 30 Kilometer breiter Korridor auf syrischer Seite der Grenze soll unter die Kontrolle der türkischen Armee gestellt werden, damit diese die kurdische YPG von der PKK abtrennt.

Andererseits: Sollte Ankara vom Deal mit Moskau zurücktreten, sind die türkisch-russischen Beziehungen massiv beschädigt. Auf Putins Wohlwollen aber ist die Türkei in Syrien angewiesen. Ein Angriff auf Idlib, die letzte von Rebellen gehaltene Region in Syrien, könnte einen neuen Flüchtlingsstrom Richtung Türkei auslösen.

Und Beobachter fragen sich: Wie kann Erdoğan noch einmal gesichtswahrend aus dieser Geschichte herauskommen? Schließlich sind auch nach Asien orientierte Hardliner in seiner AKP der Meinung, dass die Türkei von einer Nato-Mitgliedschaft profitiere. Manche spekulieren, Ankara könnte das Raketensystem in befreundeten Staaten wie Katar oder Aserbaidschan stationieren – oder es direkt an diese Länder weiterverkaufen. Das wäre tatsächlich eine gesichtswahrende Lösung für alle Beteiligten. Bisher aber soll das S-400 im Juli ausgeliefert werden. Die Uhr also tickt. (Philipp Mattheis, 24.4.2019)