Wien – Die Bitte von Harald Vilimsky an seine potenziellen Wählerinnen kam einigermaßen überraschend: "Sehen Sie mich nicht als Mann und nicht als Frau." Er sei eine Person mit Inhalt. Damit will der freiheitliche Spitzenkandidat bei der EU-Wahl die 3,3 Millionen weiblichen Wahlberechtigten überzeugen, für ihn zu stimmen. So möchte er "alle Interessenlagen unter einen Hut bringen", erklärte der blaue EU-Parlamentarier Dienstagabend bei der Podiumsdiskussion der Spitzenkandidaten im Wiener Hotel Intercontinental, die gemeinsam vom Thinktank Club 21 und dem STANDARD veranstaltet wurde.

"Die FPÖ gibt sich jeden Tag selbst die Antwort, wohin sie gehört": ÖVP-Spitzenkandidat Othmar Karas über die Freiheitlichen.
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Andreas Schieders (SPÖ) Bekenntnis "Ich bin ein Feminist" überraschte weniger. Auch nicht, dass Johannes Voggenhuber, der von der Liste Jetzt aus der Pension zurückgeholte ehemalige grüne EU-Parlamentarier, für sich stolz reklamierte, was ihm auch oft vorgehalten wird: "Ich bin ein alter weißer Mann." Dennoch habe er schon immer für die Rechte der Frauen gekämpft. Der grüne Spitzenkandidat Werner Kogler verwies darauf, dass die Grünen die einzige Partei seien, die ein feministisches Programm habe. Und: "Sie dürfen in mir ruhig einen Mann sehen", sagte er Richtung des Lieblingskontrahenten Vilimsky.

Türkis, Schwarz oder Blau

Neos-Zugpferd Claudia Gamon ist bereits gewohnt, die einzige Frau unter den Spitzenkandidaten zu sein. Ob Frausein genug Programm ist, will Petra Stuiber, Moderatorin und stellvertretende Chefredakteurin des STANDARD, wissen. "Nein, Mannsein aber auch nicht." Gamon betont aber, dass es sehr wohl wichtig für sie sei, dass die Bevölkerung in ihrer Vielfalt durch die Kandidaten repräsentiert werde. Darauf versucht sich auch Othmar Karas zu berufen, der auf die Nächstplatzierten seiner ÖVP-Liste verweist. Dort seien viele Frauen zu finden.

Harald Vilimsky fordert mehr Eigenverantwortung für das Klima: Maturanten sollen in Österreich auf Maturareise fahren.
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Doch was ist jetzt eigentlich die Rolle von Karas? Torpediert er die Regierungsarbeit, wie ihm von Vilimsky vorgeworfen wird? Oder ist das genau das Duell, das sich die türkisen und blauen Parteistrategen ausgedacht haben, damit Karas die verbliebenen Proeuropäer in der ÖVP abholt und Vilimsky die EU-Skeptiker, wie das beiden von den restlichen Kandidaten vorgehalten wird? Karas sieht die Unterschiede in grundsätzlichen Dingen wie Demokratieverständnis und Werten: "Die FPÖ gibt sich jeden Tag selbst die Antwort, wohin sie gehört." Immerhin sitze sie in einer Fraktion mit Rechtsextremen wie Marine Le Pen. "Und Sie in einer Fraktion mit Orbán, über den Sie so schimpfen", entgegnet Vilimsky.

"Von Klimaschützern umzingelt"

Für Kogler sind das zu viele Feigenblätter, die herumgereicht werden. Er habe den Überblick verloren, wer für wen ein Feigenblatt sein soll. Viel eher hofft Kogler, der die Grünen in die politische Arena zurückkämpfen will, darauf, auch enttäuschte ÖVP-Wähler für sich gewinnen zu können. Mit Freude stellt er fest, "von lauter Klimaschützern umzingelt" zu sein, sogar Karas zähle er dazu, "auch wenn sich seine Fraktion anders verhält". Trotzdem sei Klimapolitik ein originär grünes Thema, die Grünen seien die Ersten gewesen, die erkannt hätten, dass Wertschöpfung nur gemeinsam mit der Natur sinnvoll sei. Jedenfalls sieht er sich in seinem Kurs bestätigt: "Die Leute wollen grüne Ideen."

Werner Kogler, Grüne, sieht sich plötzlich von "lauter Klimaschützern umzingelt".
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Womit die zweite Konfliktlinie im EU-Wahlkampf deutlich wurde: Worin unterscheiden sich der Exgrüne Voggenhuber und der Immergrüne Kogler? Darauf wollten sich beide nicht so recht einlassen und lieber die Unterschiede zu den anderen Parteien herausstreichen. Für Voggenhuber geht es weder um das Match Karas – Vilimsky noch um Jetzt oder Grüne, sondern um ein Match in Europa. Nationalisten, Illiberale und Rechte griffen die EU an, das dürfe nicht geschehen: "Ich stehe für Widerstand." Es brauche soziale Mindeststandards, die er auch durch die Neos bedroht sieht. Selbst die Sozialdemokratie habe sich immer dann gegen soziale Mindeststandards gewandt, wenn diese im Rat abgestimmt wurden. Das wisse Voggenhuber "aus 15 Jahren Erfahrung im EU-Parlament", das wird er nicht müde zu betonen.

Rote Teilzeiteuropäer

Gibt es eigentlich Diskrepanzen zwischen Neos und SPÖ, die ideologische Gegenpole sein müssten? Persönlich kaum. Gamon schätzt Schieder und umgekehrt. Gibt es so wenige Überschneidungen, oder warum wird hier rot-pinke Harmonie vorgegaukelt? Nur einmal nennt Gamon Schieder einen "Teilzeiteuropäer", denn bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit sei die SPÖ nur zögerlich unterwegs. Die Neos-Spitzenkandidatin betont, dass Freihandel eine Chance für Europa sei, es dürfe nicht zu einem Wettbewerb des Protektionismus kommen. "Die Welt soll viel mehr wie Europa funktionieren."

Claudia Gamon, einzige weibliche Spitzenkandidatin, will einen Wettbewerb des Protektionismus verhindern: "Die Welt soll viel mehr wie Europa funktionieren."
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Und was macht Schieder? Der ist bemüht, seine zwei Hauptthemen – die Bildung einer europäischen Sozialunion und die Schaffung von mehr Steuergerechtigkeit – anzusprechen, und im Übrigen damit beschäftigt, durch Zwischenstatements Vilimskys Widersprüche aufzudecken. Davon gibt es dann doch einige, etwa wenn der blaue Generalsekretär Eigenverantwortung für den Klimawandel einfordert. Immerhin ist die FPÖ die einzige Partei, die keine Notwendigkeit sieht, eine Klimastrategie zu planen.

Erstens: Sozialunion. Zweitens: Steuergerechtigkeit. Andreas Schieder mit seinen zwei Lieblingsthemen, bemüht, Vilimsky zu widerlegen.
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Er schlägt vor, dass Schüler weniger demonstrieren, dafür aber ihre Maturareise in Österreich verbringen sollen. Außerdem verbrauche auch Streaming Energie, das würden aber die wenigsten Jugendlichen berücksichtigen. Er wirft seinen Kontrahenten vor, künftig selbst zweimal die Woche nach Brüssel zu fliegen. CO2-schonender wäre es, Ausschüsse und Besprechungen in den virtuellen Raum zu verlagern. "Ohne Streaming aber?", fragt Schieder nach.

Johannes Voggenhuber, der mit der Liste Jetzt die Initiative 1 Europa gegründet hat, betont: "Ich bin ein alter weißer Mann."
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Ein Einwand, den Vilimsky gekonnt übergeht, um schließlich von seiner Vision von Europa zu schwärmen. Es brauche ein pluralistisches Europa mit kultureller Vielfalt, mit jahrtausendalten Nationalstaaten. "Sie wollen doch keine kulturelle Vielfalt", kontert Kogler. Und Schieder ergänzt: "Nationalstaaten gibt es erst seit 200 Jahren." (mte, 25.4.2019)