Josef Reichmayr brennt für seine Schule.

Foto: Bernadette Reiter

Wien – In der Integrativen Lernwerkstatt Brigittenau (ILB) gibt es keine Ziffernnoten, keine 50-minütigen Unterrichtseinheiten, dafür gemeinsames Lernen von Sechs bis 15 auch mit schwerstbehinderten Kindern. "Bei uns wurden die heiligen Kühe des Schulsystems auf die Weide gelassen ins Grünfutter", beschreibt Direktor Josef Reichmayr das Modellschulprojekt. Heute, Freitag, feiert es 20-Jahr-Jubiläum.

"Wir wollten eine Schule, die pädagogisch dominiert ist, ohne Auseinanderdividieren der Kinder mit zehn Jahren – und siehe da, es ist geglückt", sagt Reichmayr zur APA. Das Konzept der ILB, an der seit zehn Jahren an die Volksschule eine Neue Mittelschule (NMS) angeschlossen ist: Die derzeit 400 Schüler werden nicht in Jahrgangsklassen unterrichtet, sondern "ähnlich wie im Kindergarten" in altersgemischten Stammgruppen. Dort lernen Schüler von sechs bis neun/zehn, von zehn bis 13 und von 13 bis 15/16 Jahren gemeinsam. Bis zur 3. Klasse NMS gibt es keine Ziffernnoten, sondern nur alternative Leistungsbeschreibung.

Keine fixen Gruppen, kein Frontalunterricht

Fixe Gruppengrößen oder Frontalunterricht gibt es in der ILB nicht. Immerhin teilen sich nicht nur Kinder und Jugendliche verschiedenen Alters die Klassenräume, auch Schüler mit teils schweren Behinderungen besuchen den Standort – und zwar anders als üblich auch noch nach der Volksschulzeit.

Stattdessen organisieren die Schüler ihren Wissenserwerb weitgehend selbst – allein oder in Kleingruppen, unterstützt von ihren Lehrern vulgo Lernbegleitern, und mithilfe von viel Material für projektorientiertes Lernen. Bei bestimmten Aktivitäten wie Singen oder Ateliers kommen die Gruppen dann aber wieder zusammen, ebenso in den Freizeitblöcken der verschränkten Ganztagsschule mit ihrem Wechsel aus Unterrichts-, Lern- und Freizeit.

Für die Kinder und Jugendlichen zuständig sind anders als in den meisten österreichischen Regelschulen nicht einzelne Lehrer, sondern pädagogische Teams, wobei trotzdem jeder Schüler eine Hauptbezugsperson hat. Besonderer Wert wird in der ILB auf soziale Fähigkeiten und Kreativität gelegt, bei einem Projekt in der Au sollen die Schüler etwa beim Brückenbauen und Holzfällen "Elementar- und Naturerfahrungen" machen.

Keine "Kuschelpädagogik"

"Die Schüler machen dabei wichtige Erfahrungen und Fähigkeiten, die man nicht in Tests messen kann", betont Reichmayr. Mit "Kuschelpädagogik" habe das aber nichts zu tun. Die ILB-Schüler würden auch gute Leistungen bringen, verweist er etwa auf die Bildungsstandard-Messungen.

Das spezielle Konzept der Schule, die stark auf alternativpädagogische Konzepte wie Montessori und auf Sinnes- und Sozialschulung setzt, zieht auch heute noch ein spezielles Klientel an. "Wir sind noch weit entfernt vom Durchschnittsmilieu im 20. Bezirk", räumt der ILB-Direktor ein. Es gebe aber mittlerweile an der ILB schon viel mehr Kinder als in den Anfangsjahren, die typisch für das Grätzel sind. "Heute haben wir eine ideale und sehr breite Mischung."

Die Zukunft der ILB ist allerdings ungewiss. Durch das Schulautonomiepaket von 2017 laufen sämtliche Schulversuche 2025 aus. "Entweder wird unser Schulversuch dann ins Regelschulwesen übernommen und es gibt bessere Bedingungen für alle", sagt Reichmayr, "oder man lässt Ansätze wie unseren ohne politisches Risiko im Nirvana verlaufen." (APA, 26.4.2019)