Schwimmen gegen die Krise: Der Outdoorpool bietet eine attraktive Naherholungsmöglichkeit mitten im Megamoloch São Paulo.

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Erst bauen, dann anzünden: Mithilfe von Feuer verwandeln sich die Lehmbauten von Anupama Kundoo in gebrannte Ziegelhäuser.

Foto: Javier Callejas

Öffnungszeiten 9.00 bis 20.30 Uhr. Sonntags und feiertags ist das Freibad bis 17.30 Uhr geöffnet. 20 Real kostet der reguläre Eintritt, Mitglieder zahlen die Hälfte. Für die umgerechnet zwei bis vier Euro gibt es nicht nur eine nasse Abkühlung unter freiem Himmel, sondern auch einen ungetrübten Blick auf die Skyline von São Paulo. Und auf Wunsch sogar eine dermatologische Untersuchung.

Die wahre Besonderheit des 25 mal 25 Meter großen Schwimmbeckens jedoch ist die Lage, denn die Piscina SESC 24 de Maio befindet sich nicht etwa in irgendeinem beschaulichen Wohnviertel am Stadtrand, sondern mitten im Zentrum, rund hundert Meter Luftlinie vom Stadttheater São Paulo entfernt, im 14. Stock eines ehemaligen, heruntergewirtschafteten Sechzigerjahre-Kaufhauses.

"Üblicherweise ist das Freibad auf dem Dach ein Systembild des globalen Reichtums und bedient das eine oberste Prozent der Menschen", sagt die Wiener Stadtforscherin Elke Krasny, die das außergewöhnliche Projekt letztes Jahr besucht hat. "Doch in diesem Fall richtet sich der Swimmingpool mit Sonnenterrasse in der Tat an die 99 Prozent der städtischen Bevölkerung, die sich genau solche Einrichtungen üblicherweise nicht leisten können."

Jahrelanger Leerstand

Nachdem das Mesbla-Einkaufszentrum jahrelang leer gestanden war, wurde das Gebäude vom Serviço Social do Comércio (SESC) aufgekauft und komplett umgebaut. Die 1946 gegründete Non-Profit-Organisation, die in ganz Brasilien tätig ist und am ehesten mit einem Kammerfonds oder Wohlfahrtstopf zu vergleichen ist, versteht sich als Bildungs-, Kultur- und Freizeitnetzwerk für Arbeiter und Angehörige des handelnden Gewerbes. Allein in São Paulo betreibt die SESC rund 40 Einrichtungen dieser Art.

Das SESC-Zentrum an der Ecke Rua 24 de Maio und Rua Dom José de Barros, das seit zwei Jahren in Betrieb ist, zählt wahrscheinlich zu den schönsten und spektakulärsten und umfasst neben dem Outdoorpool auf dem Dach eine Zahnklinik für die SESC-Mitglieder sowie Theater, Bibliothek, Café, Restaurant, Tanzstudio, Fitnesscenter, Ausstellungsflächen und temporär anmietbare Wohn- und Arbeitsflächen. Verbunden wird die vertikale Ministadt von unzähligen Rampen, auf denen man Meter für Meter in die Höhe wandern kann. Die Planung dafür stammt vom brasilianischen Architekten und Pritzker-Preis-Träger Paulo Mendes da Rocha.

Allen Grund zur Sorge

Das SESC-Schwimmbad im Herzen des brasilianischen Megamolochs ist eines von insgesamt 21 Projekten, die in der neuen Ausstellung im Architekturzentrum Wien (AzW) zu sehen sind. "Critical Care. Architektur für einen Planeten in der Krise", so der offizielle Titel, wirft einen Blick auf innovative, intelligente und vor allem prototypische Impulse, die als architektonische und stadtplanerische Bedienungsanleitung für den leicht maroden Erdball zu verstehen sind. Kein Wunder also, dass in der englischen Übersetzung nicht bloß von "Krise", sondern bereits von "broken planet" die Rede ist. Der Hut brennt.

"Das Wetter wird immer radikaler, die ökologischen Werte geben allen Grund zur Sorge, und die Erderwärmung spüren wir mittlerweile am eigenen Leib", sagt Angelika Fitz, Direktorin des AzW. Sie hat die Ausstellung gemeinsam mit der schwimmenden Elke Krasny kuratiert und in den letzten drei Jahren aus aller Welt zusammenrecherchiert. "Die Erde ist in der Notaufnahme. Der menschengemachte Klimawandel droht den Planeten unbewohnbar zu machen. Und diese Ausstellung ist – um im medizinischen Diskurs zu bleiben – eine Intensivstation, in der wir einige Medikationen präsentieren, wie mit dieser Situation umzugehen ist, denn Architektur und Urbanismus sind in diese Krise massiv verstrickt."

Projekt in Bangladesch

Was tun? Die Reise, auf die man subtil-didaktisch entführt wird (diesmal nicht mit der üblichen Architekturbrille, sondern mit einem ganz anderen, differenzierten Blick voller Aha- und Oje-Momente), umspannt fast alle Kontinente und zeigt Best-Practice-Beispiele im sozialen, ökologischen und wirtschaftspolitischen Kontext. Manche Projekte sind bekannt und werden in der Fachwelt längst schon als heilig hin- und hergereicht. Andere sind neu und machen Gänsehaut.

Das Friendship Centre in Gaibandha, Bangladesch, ist ein Ausbildungszentrum mitten im Überschwemmungsgebiet des Brahmaputra. Während die meisten Bauten in der Region mit viel Erdmaterial teuer und ressourcenintensiv aufgeschüttet werden, um sie vor dem regelmäßigen Hochwasser zu schützen, wurde das Friendship Centre lediglich mit einem Wall umgeben. Mit dem Fluss ist die Anlage aus der Feder von Kashef Mahboob Chowdhury über kommunizierende Gefäße verbunden, die das Gebäude mit Nutzwasser für Toilettenspülung, Fischteiche und natürliche Ventilation versorgen.

In der Sindh-Region entwickelte die pakistanische Architektin Yasmeen Lari ein Lehmhaus, das dank massiv gemauerten Sockels ebenfalls hochwasserresistent ist und dessen Pläne und konstruktive Detaillösungen nun als Open Source zur Verfügung stehen. Das Projekt ist nicht zuletzt als nachhaltige Gegenposition zu den vielen Zelten und Containern internationaler NGOs zu verstehen. Im Gegensatz zu den importierten temporären Fremdbehausungen bleibt die Wertschöpfungskette in der Region. Rund 40.000 Häuser konnten auf diese Weise bereits errichtet werden.

Schutz vor Ausverkauf

Hinzu kommen großflächige Verkehrsberuhigungen in Barcelona, in dessen Zuge die Straßenblocks zu autofreien, dicht begrünten Superblocks zusammengefasst werden. In San Juan, Puerto Rico, wiederum wurde ein Community Land Trust eingerichtet, um die informellen Favela-Siedlungen am Rande des Financial Districts und somit auch seine Bewohner vor dem total Ausverkauf zu schützen. Und in Frankreich zeigen die Pariser Architekten Lacaton & Vassal schon seit vielen Jahren vor, wie sozial und ökonomisch clever man mit unliebsamen Wohnbauten aus den Sechziger- und Siebzigerjahren umgehen kann.

Einen der schrägsten und zugleich aber sinnvollsten und logischsten Beiträge in der Ausstellung Critical Care liefert die deutsch-indische Architektin Anupama Kundoo. In Pondicherry, Südindien, baute sie ein Kinderheim aus Lehmziegeln, das wie ein Cluster aus gemauerten Iglus um einen großen Innenhof herum gruppiert ist. Um die Festigkeit der Bauten zu erhöhen, wurden die Häuser nach Fertigstellung im wahrsten Sinne des Wortes angezündet und mutierten auf diese Weise vier Tage lang zu gebrannten Ziegelbauten. Zuvor wurden die "Brennöfen" noch mit Ziegeln und allerlei Keramik- und Töpferware gefüllt.

"Sowohl Architektur als auch die Produktion von Keramik sind sehr energie- und ressourcenintensiv", sagen die beiden Kuratorinnen Angelika Fitz und Elke Krasny. "Hier werden mit einem ungewöhnlichen Blick auf die Dinge Synergieeffekte geschaffen." Architektur ist nicht nur Schöpfung, als die sie von Medien und (männlichen) Stararchitekten immer wieder gepriesen wird, sondern mitunter auch schöpferische Reparatur an unserem Planeten.

Pathos hin oder her: Wollen wir die Erde jemals wieder aus dem Emergency-Room hinausrollen, muss diese Erkenntnis milliardenfach zu den Stakeholdern und Entscheidungsträgern gelangen. Jetzt. (Wojciech Czaja, 27.4.2019)