Michiel Vandevelde war mit "Paradise Now (1968-2018)" beim ersten Donaufestival-Wochenende.

Foto: Donaufestival

Jugendliche auf der Bühne sind immer anrührend für Ältere und Eltern, die diese Welt dazu gemacht haben, was sie halt jetzt ist. Dieser Verharmlosung setzt der belgische Choreograf Michiel Vandevelde das Messer an. Dafür hat er die zwölfköpfige Youngstersgruppe in seinem Stück "Paradise Now (1968–2018)" beim Kremser Donaufestival in eine Brandung aus Körpern verwandelt, die tief in die Sitzreihen des Publikums vordringt.

Aus kess aufgeputzten Teenagern, die zu Beginn als lebende Bilder ikonische Momente von 2017 bis zurück ins 68-er-Jahr nachstellen, werden Figuren, die zeigen, dass sie den Ernst der Lage in unserer Gegenwart verstanden haben. Ihre Körper inhalieren das Vernichtungspotenzial der globalen Geldmaschine und beginnen sich aufzulehnen. Immer heftiger und wütender, damit das Publikum auch spürt, dass es hier nicht wirklich um Unterhaltung oder bloß eine kulturintellektuelle Denkübung geht.

Enttäuschung über Alte

Dieses Stück ist ein klarer Ausdruck der Enttäuschung über das Versagen jener Alten, die aus Gier und Bequemlichkeit die Welt ihrer Nachkommen verzocken und vergiften. Damit erinnert es an eine Performance des portugiesischen Künstlerpaars Ana Borralho und João Galante, das vergangenen Herbst im Tanzquartier Wien mit "Trigger of Happiness" ebenfalls eine Anklage desillusionierter Teens formulierte.

Vandeveldes Darsteller glauben nur noch an die Kraft der Freundschaft, an das Gemeinschaftliche im Kleinen. Dazu passend hat Donaufestival-Kuratorin Astrid Peterle die Uraufführung eines Stücks der jungen Wienerin Karin Pauer ins Programm genommen. Unter dem Titel "This is where we draw the line" lotet die Choreografin zusammen mit dem Tänzer Arttu Palmio den Nachhall postmoderner Gesellschaftsdiskurse aus.

Gemeinschaftserlebnis

Unterstützt durch Zeichnungen von Aldo Giannotti und Paolo Montis Soundstrukturen schenkt Pauer in ihrer zweistündigen Choreografie ein Gemeinschaftserlebnis als soziale Plastik. An den weißen Wänden eines Galerieraums lassen Pauer und Palmio mittels schwarzer, immer neu gespannter Schnüre geometrische Formen entstehen und verschwinden.

Permanent bewegen sich die beiden in der Menge der umherstehenden Besucher, verbinden auch sie mit ihren dünnen Seilen. Diese sozialen Gebilde zerfallen bereits im Augenblick ihrer Herstellung durch die Künstler, während sich die abstrakten Formen erst mit der Zeit auflösen.

Die Leichtigkeit, mit der das Tänzerpaar sein Publikum immer wieder reorganisiert, grenzt zuweilen an Magie. Das verdankt sich offensichtlich einer ausgesprochen durchdachten Konzeption und deren konsequenter Umsetzung. Ein cooles und knisterndes Stück, dessen ironische Ebene durch freundlich vorgebrachte Einflüsterungen von hohlen Phrasen aus der Alltags-Wunschmaschine entsteht: "Stell dir vor, du startest die Revolution." Oder: "Dieser Mensch wird dein Leben verändern".

Personifizierter Horror

Einen Schritt in die Theaterperformance macht der US-amerikanische Musiker und Performer Bully Fae Collins mit seinem Solo "Plight Notions with Shandy". In dieser Standup-Tragedy humpelt und geifert Collins als personifizierter Horror vor einem irritierten Publikum. Der freakige Shandy ist stets auf dem Sprung zum Splatter, aber für ein Gemetzel am Zuschauer ("Haben Sie noch beide Nieren?") reicht es nicht. Dafür geht es der Vereinnahmung von Kunst durch Biederlinge und Brandstifter an den Kragen.

Die gelungene Zusammenstellung erstklassiger Performances am ersten Donaufestival-Wochenende animiert zum Besuch der zweiten Lieferung ab kommendem Freitag: unter anderem mit dem robotischen "Uncanny Valley" von Stefan Kaegi (Rimini Protokoll) mit Thomas Melle und der Uraufführung von "Kultur" der brillanten spanischen Gruppe El Conde de Correfiel. (Helmut Ploebst, 29.4.2019)