Amoz Oz mit Shira Hadad, "Was ist ein Apfel?". € 20,60 / 423 Seiten. Suhrkamp 2019.

Die Gespräche, die zwischen 2014 und 2018 entstanden, sind ein Vermächtnis des Autors.

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Großmutter Schlomit kam im Jahr 1933 aus Wilna nach Jerusalem. Ihr Enkel, Jahrgang 1939, hatte noch auf dem Schoß des Dichters Scha'ul Tschernichowski gesessen. Dieser Enkel, umgeben von Großeltern, Onkeln und Tanten aus Polen, Litauen und der Ukraine, wächst als Einzelkind in der Frühzeit des jungen Staates Israel im Jerusalem der Vierzigerjahre auf. Seine Eltern: der Vater, hochgebildet, aber beruflich unter seinem Niveau beschäftigt, die Mutter, zart und sensibel, mehr als ihr Mann unter dem Verlust der europäischen Heimat leidend, beide geeint durch das gemeinsame Schicksal der Flucht und des Neuanfangs in Palästina.

Der kleine Amos Klausner, der später in den Fünfzigerjahren den Namen Amos Oz annimmt (das hebräische "Oz" steht für Kraft), macht seine ersten Lebensschritte in einer gefahrvollen Umgebung, die nach der Staatsgründung Israels immer wieder durch blutige Pogrome und Angriffe der arabischen Nachbarstaaten bedroht wird.

Alles in allem fand er es hier wahnsinnig spannend: der große Schriftsteller Amos Oz, der Ende 2018 verstarb.
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Amos Oz, einer der bedeutendsten Schriftsteller Israels, hat in seinem Erinnerungsroman Eine Geschichte von Liebe und Finsternis" (aus dem Jahr 2004) über die schwierige Zeit des Heranwachsens geschrieben. Über das Schicksal der Mutter, die sich, noch keine vierzig Jahre alt, nach anhaltender Depression mit Schlaftabletten das Leben nimmt – der Junge ist gerade einmal zwölf Jahre alt.

Da ist der Vater, der ein Jahr danach ein zweites Mal heiratet und mit sechzig an einem Herzinfarkt stirbt. Noch kurz vor ihrem Tod hat die Mutter dem Sohn den Rat gegeben, sich später einmal, wenn er selbst verheiratet sei, kein Vorbild an ihrer Ehe zu nehmen. "Jede Geschichte, die ich geschrieben habe, war autobiografisch", wird der Schriftsteller Amos Oz später sagen.

Seine Erzählungen bestehen aus der Summe von Begegnungen und Erfahrungen – vor allem aber aus viel Zuhören. Seine Prosa handelt von den eigenen Geschichten der Menschen, ihren Liebesaffären, ihren familiären Katastrophen und Kämpfen, eben auch von den eigenen Tragödien.

Vieles von dem, was Amos Oz zum Thema macht, hat er selbst am eigenen Leib erlebt, auch erlitten. Die quälend langen Jahre im Kibbuz, seine Außenseiterrolle als pubertierender Jugendlicher, der sich lieber mit anspruchsvoller Literatur beschäftigt, die Rohheit der Altersgenossen, gegen die er sich durchzusetzen versucht, die erwachende Sexualität. Das Leben im Kibbuz ist streng reguliert, fast schon wie in einer Kaderschmiede. Aber es hat ihn geprägt. Wie der dreijährige Wehrdienst.

Intime Beziehung zu Israel

Aber er hat ein Privileg: Er kann studieren. An zwei Kriegen nimmt er als Panzerkommandeur teil und wird als Feldwebel entlassen. Er schreibt nicht über seine Kriegserlebnisse, versucht die bittere Erinnerung hinter sich zu lassen. Aber die Spuren des Erlebten kann er nicht wegwischen. Der Eindruck einer gewissen Härte entsteht wohl auch aus der intimen Beziehung, die er zu Israel, dem Staat, entwickelt hat.

Aber er ist eben nicht nur ein Schriftsteller, dessen Lebenserfahrung im Wesentlichen durch den Unfrieden in der nahöstlichen Region gekennzeichnet ist. Der Autor Amos Oz entwickelt eine tiefe Zuneigung zu seinen Erzählfiguren – das zieht sich durch sein gesamtes Werk. Es ist eine Art humanistische Neugierde, die den Weggabelungen eines Lebens folgt, gespeist aus einem tiefen Glauben an Israel und die hebräische Sprache.

Wenige Monate vor seinem Tod Ende vorigen Jahres hat er eingeräumt, dass es auch bei ihm eine Angst vor dem Sterben gebe. Und er sei keineswegs bereit, schon am Abend oder am nächsten Morgen zu sterben. Alles in allem finde er es hier wahnsinnig spannend: "Ich will nichts verpassen: Ich bin so neugierig, wie es hier weitergeht ..." (Wolf Scheller, 4.5.2019)