Einer jener 664 Uranwürfel, mit denen Werner Heisenberg und sein Team im Frühling 1945 den deutschen Atomreaktor zum Laufen bringen wollten.
Foto: John T. Consoli/University of Maryland

Vor sechs Jahren erhielt der US-Physiker Timothy Koeth von der University of Maryland ein originelles Geburtstagsgeschenk. Es handelte sich um einen kleinen Würfel mit einer Kantenlänge von fünf Zentimetern, der erstaunlich schwer war. Das Ding, das 2,4 Kilogramm wog, war in braune Papierservietten eingewickelt. Darin fand sich ein Zettel mit einer Angabe zur Herkunft des Objekts: "Aus Deutschland mitgenommen, vom Atomreaktor, den Hitler bauen wollte."

Dieses Geschenk war für Koeth der Ausgangspunkt für spannende wissenschaftshistorische Recherchen. Die wichtigsten Erkenntnisse hat er nun gemeinsam mit der Doktorandin Miriam Hiebert im Fachblatt "Physics Today" zusammengefasst. Und auch wenn das deutsche Uranprojekt im Zweiten Weltkrieg längst gut erforscht ist, so konnten die beiden doch ein paar überraschende neue Fakten herausfinden.

Experimente Anfang 1945

Nach ersten Nachforschungen war Koeth schnell klar, dass sein Präsent einer jener 664 Würfel aus Uran war, die 1945 Teil jenes Reaktors waren, mit dem Physiker um Werner Heisenberg zwischen Februar und April 1945 eine atomare Kettenreaktion auslösen wollten – etwas, was Enrico Fermi und seinem Team bereits Ende 1942 in den USA gelungen war, ohne dass die Deutschen davon wussten.

Die Geschichte des deutschen Uranprojekts ist dank Arbeiten von Physikhistorikern wie Mark Walker seit den 1990er-Jahren gut erforscht. Bekannt ist auch, dass der geheime Versuch, für den Werner Heisenberg verantwortlich war, im deutschen Ort Haigerloch durchgeführt wurde – konkret in einem aufgelassenen Felstunnel, den der Haigerlocher Schwanenwirt als Kartoffel- und Bierkeller nützte.

Der heutige Eingang zum damaligen Versuchsreaktor, heute: Atomkeller-Museum. Darüber die Schlosskirche von Haigerloch.
Foto: LepoRello (Wikipedia)

664 Uranwürfel an 80 Drahtseilen

Für ihr Experiment namens B-VIII hängten die Physiker 664 Uranwürfel aufgefädelt an 80 Drahtseilen in einen Tank mit schwerem Wasser und beschossen diese Anordnung mit Neutronen, um eine Kettenreaktion anzustoßen. Das Uran war im Sankt Joachimsthal im Sudetenland abgebaut worden, das schwere Wasser stammte von Norsk Hydro aus Norwegen, und als Neutronenquelle fungierte eine aus Berlin eingeflogene 500 Milligramm schwere Radium-Beryllium-Probe.

Im Forschungsreaktor Haigerloch trat jedoch keine Kritikalität ein, sprich die Kernspaltungskettenreaktion konnte nicht in Gang gesetzt werden. Seit einer 2009 publizierten Analyse zweier Würfelfragmente weiß man auch, warum Heisenberg scheiterte: Das Uran war mit relativ wenig Neutronen bestrahlt worden. Zudem hätte die Anlage eineinhalb Mal größer sein müssen.

Nachbau des Forschungsreaktors Haigerloch – natürlich ohne die originalen Uranwürfel
Foto: LepoRello (Wikipedia)

Wenig später erreichten die Alliierten Haigerloch, demontierten den Reaktor und sammelten auch die zuvor von Heisenberg und seinem Team in einem Feld vergrabenen Uranwürfel auf. Sie wurden, wie man wusste, zum größten Teil in die USA gebracht. Doch was geschah dann mit ihnen?

Instruktive Kurzdokumentation über den Reaktor in Haigerloch samt Besuch des Originalschauplatzes und einer Suche nach Uranwürfeln.
bionerd23

Wiederverwertung in den USA

Das war die erste Frage, der Koeth und Hiebert nachgingen. Sie fanden heraus, dass der Großteil der Uranwürfel wahrscheinlich im Oak Ridge National Laboratory angereichert und zu waffenfähigem Uran für die US-Atomwaffenversuche verarbeitet wurde. Man weiß aber nicht, wie viele. Klar ist nur, dass 13 Uranwürfel heute Ausstellungsstücke in den USA und Deutschland sind. Etliche andere könnten verschollen sein – ähnlich wie lange Jahre Koeths Geburtstagsgeschenk.

Spannender war jedoch eine andere Entdeckung der Physiker: Neben den Würfeln von Haigerloch hat es noch 400 weitere gegeben, mit denen Heisenbergs Konkurrenz, die Forschergruppe um Kurt Diebner in Gottow in Brandenburg, arbeitete. Das Resümee der US-Forscher: Hätten die Deutschen so wie die Amerikaner ihre Ressourcen gebündelt, hätten sie vielleicht eine Kettenreaktion zustande gebracht.

Noch rätselhafter ist der Verbleib der Uranwürfel von Diebner. Die meisten dürften auf dem osteuropäischen Schwarzmarkt gelandet sein, so die Forscher: "Dokumente in den US-National Archives sprechen dafür, dass die Mehrheit dieser Uranwürfel letztlich in der Sowjetunion landete." Um wie viele es sich dabei handelte und was dort mit den Würfeln passierte, wollen die US-Physiker demnächst erforschen – und freuen sich über sachdienliche Hinweise aller Art. (tasch, 4.5.2019)