Katy Hessel zeigt auf dem Profil "thegreatwomenartists" auf Instagram Kunst von Frauen, 57.000 Nutzer folgen.

Foto: Screenshot Instagram/thegreatwomenartists

"Natürlich recherchiert man online. Aber es ist wichtig, Kunst zu erleben", findet die Wiener Galeristin Sophie Tappeiner.

Foto: Sophie Tappeiner

Eine Digital-Dystopie voller Hass und Narzissmus. So erscheint Instagram im Lichte jüngster Berichterstattung. Ausgerechnet in der als oberflächlich verschrienen Kunstwelt zeichnet sich aber ein gegenläufiger Trend ab: Eine junge Generation will die Plattform als Werkzeug im Streben nach Diversität und Gleichberechtigung nutzen – doch erreicht sie damit auch Institutionen?

Katy Hessel zählt zu dieser Generation. Die Britin startete 2015 den Account @thegreatwomenartists, auf dem sie weibliche Künstlerinnen aller Couleur vorstellt. Sie reagierte auf eine eigene Frustration: Auf einer Londoner Kunstmesse hatte sie keine einzige Künstlerin entdecken können, erzählt Hessel im Gespräch. Ein Mangel, der ihr rückblickend auf ihr Kunstgeschichte-Studium am University College London und ihre Schulzeit ebenso bewusst geworden sei – das ungleiche Verhältnis von Männern und Frauen in der Kunst war nie Thema.

Kunstgenuss ohne Vorwissen

Auf @thegreatwomenartists folgen Hessel inzwischen über 50.000 Abonnenten, mehr als so mancher Kunstverein im Jahr Besucher verzeichnet. Ihre Texte hält sie kurz und möglichst verständlich. Sie will ihren Lesern Schwellenängste nehmen und zeigen, dass es keines Vorwissens bedarf, um Kunst zu genießen.

Die Branche selbst hat die Fotoplattform längst für sich entdeckt. Weltberühmte Künstler wie Ai Weiwei und Cindy Sherman posten Selfies, der Kurator Hans Ulrich Obrist teilt Notizzettel von sich und prominenten Freunden. Vanessa Joan Müller, die die Dramaturgie der Kunsthalle Wien leitet, bezeichnet sich selbst als "nicht wahnsinnig aktive Nutzerin", findet es aber spannend zu sehen, was ihre Kollegen gerade beschäftigt. Doch sie ist sich bewusst, "in der Filterblase gefangen" zu sein.

Auch Galeristen wie die Wienerin Sophie Tappeiner nutzen Instagram. Nur selten komme über die Plattform ein Verkauf zustande, meint sie. Vielmehr sei Instagram eine "Form der Community" für die junge Generation und ideal, um in der internationalen Szene "am Ball zu bleiben".

Prinzipiell demokratisch

Neben jungen Künstlern und Kuratoren können hier auch jene Aufmerksamkeit erlangen, die weitab der Kunstmetropolen leben. Die App ist prinzipiell demokratisch: Das quadratische Format der Bilder auf Instagram ist für alle gleich, die Nutzung der App kostenlos. Sie verspricht die Chance, Themen und Werke zu zeigen, die Institutionen ausblenden oder vernachlässigen, und damit potenziell über eine Milliarde Nutzer weltweit zu erreichen.

Aber werden sie von der Branche gefunden? "Natürlich recherchiert man online", meint Tappeiner. Entscheidender wären für sie jedoch Atelierbesuche. Denn das Internet könne nicht die Realität abbilden. Gerade stark materialbezogene Kunst, wie sie sie in ihrer Galerie ausstelle, lasse sich nicht auf den Screen übersetzen. "Es ist wichtig, Kunst zu erleben."

Hessel begegnet Skeptikern selbstbewusst. Zwar hält auch sie fest, dass Instagram nicht die Kunsterfahrung ersetzen könne. Aber sei es nicht besser, mit Kunst konfrontiert zu werden, die das Denken anregt, statt mit perfekten Fotos vom idealisierten Leben?

An den Gatekeepern vorbei

Das Prinzip des Kuratierens wohnt der visuellen Plattform schon inne: Jeder "kuratiert" sein Profil durch die Auswahl der Bilder, der Begriff wirkt online fast abgenutzt. Können Hürden der elitären Kunstwelt – wie teure Universitätsabschlüsse oder prekäre Praktika – umgangen werden, indem junge Kuratoren auf ihren Accounts Likes und Abonnenten sammeln?

Hessel bejaht. Die Gatekeeper-Funktion von Museen werde ausgehebelt, was sie als sehr positiv empfände. Die 25-Jährige hat bereits drei Ausstellungen kuratiert, zuletzt eine Installation in der Tate Modern, einem der renommiertesten Museen Großbritanniens. Entscheidend beim Ausstellungsmachen sei nicht, wie viel man über einen Künstler wisse, sondern wie sehr man sich auf ihn einlasse, meint sie.

Ausbildung und Spielregeln

Kritischer sieht das Vanessa Joan Müller. Den Instagram-Account als langfristige Professionalisierungsstrategie kann sie sich kaum vorstellen: "Ohne die klassische Ausbildung kommt man in die Branche nicht hinein." Gerade die jüngere Generation spezialisiere sich zunehmend, statt eines kunsthistorischen Studiums absolviere sie meist das der Curatorial Studies. Ein Instagram-Account müsse schon sehr gut gemacht sein, um als Visitenkarte herzuhalten, so Müller.

Die viele Arbeit, die Katy Hessel in ihren Account investiert um erfolgreich zu sein, stellt durchaus eine neuerliche Hürde dar: Dass sie sich die unbezahlte, digitale Arbeit durch einen Marketingjob in einer Galerie finanziert, erwähnt sie nur am Rande. Ihr Beispiel zeigt, dass man mit der Insta-Strategie Erfolg haben kann. Ob sie aber wirklich demokratischer ist als der klassische Ausbildungsweg in die Institutionen? Wer sich für mehr Diversität in der Kunstwelt einsetzen will, kommt nicht umhin, sich zumindest teilweise an ihre Spielregeln zu halten. (Kathrin Heinrich, 6.5.2019)