Konzeptkünstlerin Margot Pilz mit bemalten Gesicht: Sie ist eine der Künstlerinnen, die Christiana Perschons "Sie ist der andere Blick" porträtiert.

Foto: Filmgarten

"Es ist uns nicht gegeben worden, sich unterzuordnen": Lore Heuermann blickt zu ihren Anfänge zurück und betont die emanzipatorische Ausrichtung ihres Tuns.

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Schutzraum bot die Kunst damals keinen. Es gab nur die Faktizität einer als einengend empfundenen Realität. Männer regulierten fast alle gesellschaftlichen Bereiche, was in der Summe eine an vielen Fronten wirksame Mikrophysik der Macht ergab. So ähnlich drückt das eine der Künstlerinnen aus Christiana Perschons Film Sie ist der andere Blick aus, und sie spricht damit eine Erfahrung aus, die generationenbestimmend war. Man wurde als Frau in eine Rolle eingewiesen.

Die Rede ist von Professoren, die sich Schenkel an Schenkel zu einem dazupressen und in die Zeichnung hineinkritzeln; von nicht bewilligten Auslandsstipendien, weil man ohnehin "nur mit einem Kind" zurückkäme. Von Galeristen, die einem empfehlen, es als Vierzigjährige noch einmal zu versuchen; und auch von Ehemännern, die einen akribisch Haushaltsbuch führen lassen.

Filmgarten

"Ist ein bisschen viel auf einmal", kommentiert sich Lore Heuermann einmal selbst, aber die Erinnerung bringe sie eben in Schwung. Perschon, 1978 in Baden geboren, hat ihren Film mit sechs heimischen Künstlerinnen realisiert, die jetzt als arriviert gelten. Renate Bertlmann, Linda Christanell, Karin Mack, Margot Pilz, Iris Dostal und Heuermann haben alle Ende der 1960er-, Anfang der 1970er-Jahre zu arbeiten begonnen – unter noch ganz anderen Rahmenbedingungen.

Anbindungen an heute finden sich dennoch genug. An den Schilderungen des damaligen Sexismus frappiert eher der Umstand, um wie viel unverblümter dieser geschah. Perschon hat die Rückblicke auf die Diskriminierung geschickterweise an den Anfang des Films gestellt. Die Stimmen der Frauen sind abwechselnd aus dem Off zu hören, während Schwarz-Weiß-Bilder eines flackernden 16-mm-Films eine Frau zeigen, die in einem Atelier Leinwände mit weißer Farbe bepinselt.

Perschon schafft damit einen Resonanzraum für ein Kollektiv von Frauen. Bevor man die einzelnen Personen kennenlernt, erfährt man von den Widerständen, mit denen sie alle konfrontiert waren. Ähnlich wie die Malerin ihre Leinwand, grundiert der Film damit den Hintergrund. Die einzelnen Kunststrategien zeichnen sich darauf hernach klarer ab.

Kunst der Vermittlung

Damit ist bereits eine der großen Qualitäten von Sie ist der andere Blick benannt: Als Porträtfilm begnügt er sich nicht damit, seine Protagonistinnen in Wort und Bild festzuhalten. Er begreift die Vermittlung von Kunst selbst als ästhetische Herausforderung. Perschon bezeichnet ihren Film als Kollaboration, weil sie mit dem durchgehend in Weißtönen gehaltenen Atelier einen Rahmen vorgab. Den Künstlerinnen stand frei, wie sie dort auf ihre jeweiligen Praktiken näher eingehen wollten. Das Resultat ist weit mehr als eine Ausstellung in Bildern, die um den weiblichen Blick kreist. Die Bildausschnitte der Kamera, der sehr überlegt gesetzte Schnitt, die inneren Bezüge – mit all diesen Mitteln erstellt der Film seine eigenen Konfigurationen.

Bei der heurigen Biennale-Teilnehmerin Renate Bertlmann wird etwa eine Schnur durch den Raum gespannt, die an eine Wäscheleine erinnert. Allerdings bauschen sich dann keine Hemden im Wind, sondern die Latexschürzen, die sie aus Schnullern gegossen hat. Gleichzeitig erfährt man von Bertlmanns lustvoller Beziehung zur Materialität ihrer Objekte und der Ausdauer, die es brauchte, um für ihren Zugang Anerkennung zu finden.

"Weiße Zelle" für Experimente

Reflexion und Praxis gehen Hand in Hand. Karin Mack zeigt ein Selbstporträt mit Haarnadeln, die Filmemacherin Linda Christanell demonstriert, über welche Bahnen ihre Faszination für Alltagsobjekte wie einen besonders klein geratenen Damenschuh in Collagen mündet. Mit jeder Künstlerin wechselt der Film seine Form und bleibt zugleich offen für Verbindungen. Besonders intensiv ist jene Passage, in der die Konzeptkünstlerin Margot Pilz ihr Gesicht bemalt und von der "weißen Zelle" erzählt, einer Box für Experimente. Perschon probiert sie dann auch selbst kurz aus.

Es ist nicht der einzige Moment, in dem sich manifestiert, dass enge Begrenzungen den Druck für Erneuerung erhöhten. Nicht Sicherheit, Freiheit sei ihr Ziel gewesen, erzählt Lore Heuermann umringt von ihren Papierrollen. Perschon porträtiert mit ihrem Film Vorbilder, die zu einem eigenständigen, ja feministischen Ausdruck gefunden haben. Das schönste Kompliment macht sie ihnen damit, dass sie ihrer Maxime des Eigensinns folgt.
(Dominik Kamalzadeh, 6. 5. 2019)