Egal ob 27 oder 28 EU-Länder: Sie haben Reformbedarf.

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Nach den Vorschlägen von Bundeskanzler Sebastian Kurz zu einer Reform der EU-Verträge beim ÖVP-Wahlauftakt am vergangenen Samstag ist innerhalb der Regierungskoalition ein Streit darüber ausgebrochen, wie weit man dabei gehen soll – etwa bei nationalen Besonderheiten oder Blockademöglichkeiten per Veto. FPÖ-Generalsekretär und -EU-Spitzenkandidat Harald Vilimsky warnte davor, das Ein stimmigkeitsprinzip in der Außen politik aufzuheben: "Das würde noch mehr EU-Zentralismus bedeuten." Außenministerin Karin Kneissl wollte der FPÖ-Parteilinie nicht folgen und legte sich vorerst in der Bewertung nicht fest.

ÖVP-Europaminister Gernot Blümel wies dies alles am Montag als "Wahlkampfgetöse" zurück; das müsse man "von einer gemeinsamen Regierungslinie unterscheiden". Laut Blümel werde Kurz am Donnerstag den informellen EU-Gipfel in der rumänischen Stadt Sibiu (Hermannstadt) nützen, um seine Vorstellungen den EU-Partnern vorzutragen.

Dieses Treffen findet offiziell unter dem Titel "Reformen für die EU-27" statt. Gastgeber ist der rumänische Präsident Klaus Iohannis, dessen Land derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Allerdings dürften bei diesem Gipfel kaum konkrete Reformen besprochen werden.

Der EU-Gipfel war bereits vor fast zwei Jahren von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im Zuge der Vorstellungen seines "Optionenberichts zur EU-Zukunft" angeregt worden – unter der Annahme, dass der EU-Austritt Großbritanniens zu diesem Zeitpunkt schon vollzogen sein würde.

Genau das ist nach der Verschiebung des Brexit Mitte April um maximal sechs Monate nun nicht der Fall. Alles 28 EU-Staaten befinden sich in der Intensivkampagne zu den EU-Wahlen Ende Mai. "Da sind keine Ergebnisse zu erwarten", sagte EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber bereits vergangene Woche zum STANDARD.

Frühestens 2020

Vielmehr werde man sich darüber unterhalten müssen, wie man nach den Wahlen mit dem Brexit, der Konstituierung des Parlaments, der Erstellung eines Regierungsprogramms und der Wahl der EU-Spitzenjobs bis Ende 2019 weitermachen werde. Die konkrete Ausarbeitung neuer EU-Verträge könnte frühestens 2020 starten, wenn die neue EU-Kommission im Amt und der Brexit vollzogen ist.

Mit den EU-Wahlen wird nicht nur der Kommissionspräsident auf Vorschlag der EU-Regierungschefs vom EU-Parlament neu gewählt, sondern auch der Parlamentspräsident. Zusätzlich laufen die Mandate von EU-Ratspräsident Donald Tusk und Außenbeauftragter Federica Mogherini im November aus. Und es muss ein neuer Präsident der Europäischen Zentralbank bestimmt werden.

Diese Topjobs des Personalpakets müssen im Interessenausgleich der Parteien nominiert werden. Und so wird es in Sibiu wohl nur eine strategische Debatte zu EU-Strukturen und Inhalten geben, wie man all diese Vorhaben unter einen Hut bringt, insbesondere den Brexit und seine Folgen bewältigt. Die britische Premierministerin Theresa May wird in Sibiu nach bisherigen Plänen gar nicht mehr dabei sein; möglich, dass sich das ändert, weil sie bis auf weiteres vollberechtigtes Mitglied des Europäischen Rates bleibt.

Zurückhaltend reagierte die EU-Kommission auf die Vorschläge des österreichischen Kanzlers. In Sibiu werde man sich "auf das große Bild", die weitere Perspektive der Union, konzentrieren. Es stehe den Staats- und Regierungschefs natürlich völlig frei, zu diskutieren, worüber sie wollen. Für die Änderungen von EU-Verträgen seien die Staats- und Regierungschefs zuständig. Juncker habe seine Vorschläge dazu bereits 2017 vorgelegt. (6.5.2019)