Die Insel Brač, die auf der Landkarte wie ein langgezogenes Wiener Schnitzel im Meer südöstlich von Split liegt, ist von der Hauptstadt Dalmatiens circa 50 Fährminuten entfernt. Die Anreise ist unkompliziert: von Wien-Erdberg mit dem Nachtbus direkt an den Hafen von Split. Die zwölf Stunden Fahrt werden großteils verschlafen oder weggedöst.

Weiter geht es mit der Fähre nach Brač (Supetar). In der Nebensaison fährt diese alle zwei Stunden. Falls sich doch eine Wartezeit ergibt, lässt sich die bei Kaffee und Brioche im Schatten des Diokletianpalasts bestens überbrücken. Wir aber schauen, dass wir möglichst schnell rüberkommen, es liegt nämlich ein langer Weg vor uns: Rund 25 Kilometer sind es nach Bol auf der Südseite der Insel.

Unberührte Natur

Das ist die erste von fünf Etappen, die uns kreuz und quer über die Insel führen werden: von Norden nach Süden, ein Abstecher nach Westen und wieder in den Norden. Etliches wollen wir besichtigen. Kaum etwas davon werden wir abhaken. Dafür viel gehen und vielfältige Landschaften durchwandern. Bis auf ein paar Radlerinnen und Radler und immer wieder Schafen begegnen wir nur Kleintieren wie Vipern, Blindschleichen, Turteltauben, Mistkäfern … Bergauf, bergab, auf schmalen Pfaden und engen Kurven, knapp am Meer oder hunderte Meter darüber. Durch Wälder, Macchie, Olivenhaine oder karges Felsland.

Die Kroaten: Meister im Improvisieren.
Foto: Reinhilde Becker

An die 130 Kilometer kommen schließlich zusammen. Blasen an den Füßen auch. Doch es lohnt sich. Denn Brač hat viel unberührte Natur. Und Brač ist reich an Kulturdenkmälern. Da gehören die kilometerlangen Steinmauern, die Steiniglus und die Steinhäuschen der Hirten und Bauern ebenso dazu wie mittelalterliche Sakralbauten und anonymes zeitgenössisches Design. Denn in Kroatien gibt es viele Meisterinnen und Meister des Upcyclings und Improvisierens. Statt auf einer Parkbank rasten wir in Nerezisca auf einer Hollywoodschaukel aus einem ausgedienten Autositz und einem Gestell aus Heizungsrohren (mit Temperaturregler). Auf einer Weide sehen wir einen kaputten Sessel, der mit einem Steinbein wieder flott gemacht wurde.

Wo der Wacholder wuchert

Wir haben unsere Wanderroute so angelegt, dass wir die bedeutendsten Sehenswürdigkeiten sozusagen im Vorbeigehen mitnehmen können. Das erste Ziel auf der Liste ist der höchsten Bergs aller kroatischen Inseln, der Vidova Gora (Veitsberg). Von seinem Gipfel aus, 778 Meter direkt über dem Meer, hat man einen großartigen Rundblick über die Inselwelt und einen schwindelerregenden auf das Städtchen Bol mit seinem Touristenmagneten dem Zlatni Rat (Goldenes Horn).

Rund um den Gipfel steht ein herrlicher Wald aus dalmatinischen Schwarzkiefern. Die haben feste dunkelgrüne Nadeln und schirmförmige Kronen, über die die Bora hinwegbraust. Als Unterholz wuchert der Wacholder. Hier durchzugehen ist eine besondere Erfahrung, wenn man nur die Strandkiefer – als den Mittelmeerbaum – gewohnt ist. Alles erscheint so nah, doch der Abstieg zieht sich. Die Strecke ist sehr steil und die Steine liegen lose, sodass jeder Schritt bedacht werden will.

Rund um den Gipfel des Vidova Gora steht ein Wald aus dalmatinischen Schwarzkiefern.
Foto: Reinhilde Becker

In Bol gibt es viele feine Restaurants. Dieses ehemalige Fischerdorf zieht im Sommer Touristen scharenweise an. Aus der ganzen Welt. Und alle wollen sie ihr Handtuch auf dem feinen Schotter des Zlatni Rat ausbreiten. Eine Vorstellung, die mich immer abgeschreckt hat hierherzukommen. Doch Ende April ist alles anders. Entspannt und wirklich wunderschön. Aber das Goldene Horn steht erst für den nächsten Tag auf dem Programm.

Die Zunge ändert ihre Form

Das Ziel von Tag zwei sind Orte, an denen sich einst die christlichen Bewohner des Festlandes vor den Osmanen versteckt haben. Mönche haben diese Kultstätten gebaut. Großartig soll die Eremitage Blaca, ein Klosterkomplex aus dem 16. Jahrhundert, sein. Errichtet in einer engen Schlucht, die vier Kilometer tief in den Fels schneidet. Auf dem Weg dorthin wollen wir beim Zlatni Rat vorbeischauen und dann noch die Zmajeva Špilja (Drachenhöhle) mit ihren obskuren heidnisch-christlichen Reliefs besichtigen.

Der Blick auf Bol: Im Hintergrund sieht man das Goldene Horn – bekanntes Postkartenmotiv und Touristenmagnet.
Foto: Reinhilde Becker

Ersteres gelingt: Links und rechts umgeben von klarem Wasser, ohne ein Fuzerl Müll und menschenleer liegt diese knapp 500 Meter lange Landzunge aus Kies vor uns. Das Besondere an ihr ist, dass sie je nach Wind und Meeresströmung ihre Form verändert. Mal schaut die Zungenspitze nach Westen, mal nach Osten oder sie rollt sich ein. Diese Formveränderung kann innerhalb von wenigen Tagen geschehen.

Widerwillig kehren wir um

Dass wir den Besuch der Drachenhöhle canceln werden, hat sich nach einem Telefonat mit Zoran, der den Schlüssel zur Höhle hat, herausgestellt. Eine Führung dauert vier Stunden, sodass sich der Besuch der Eremitage nicht mehr ausgehen würde. Und wir wollen den sonnigen Tag lieber im Freien verbringen. Also marschieren wir los: zuerst auf auf einem Macadam-Weg und dann auf einem schmalen Pfad zwischen windgebeugten Strandkiefern, links das Meer und rechts die Felswände des Küstengebirges.

Das Städtchen Bol bei Nacht.
Foto: Reinhilde Becker

Viele kroatische Inseln sind an ihren Südseiten steil abfallend, schroff und schwierig. Als wir endlich die Bucht mit dem Eingang zur Schlucht, in der das Kloster versteckt liegt, erreichen, ist es schon sehr spät. Um vor Einbruch der Dunkelheit ins Quartier zu kommen, müssen wir widerwillig umkehren. Auch die Eremitage Blaca sehen wir nicht.

Tschocherlatmosphäre, hervorragendes Essen

Tag drei führt uns dann ganz in den Nordosten. Das bedeutet zuerst einen steilen Aufstieg von 400 Höhenmetern durch felsiges Gelände. Das Skelett eines toten Schafes am Weg ist nicht ermutigend. Der Blick über das Meer erhaben. Der schmale Pfad hochalpin. Oben angekommen geht es ziemlich eben dahin auf Straßen und schmalen Feldwegen. Es blüht. Ginster duftet. Zwitschern aus der Macchie, der Kuckuck ruft. Aromatherapeuthisch bestens getreatet, erreichen wir Povlja überraschend schnell, denn irgendwann geht es nur mehr gemütlich bergab Richtung Wasser.

Der Aufstieg von Bol aus ist steil und felsig.
Foto: Reinhilde Becker

Der Abend ist kühl und es beginnt zu regnen. Deshalb essen wir nicht auf der Terrasse vom "Maslina" dem einzig geöffneten Lokal. Sondern drinnen. Da ist es graubraun. Die Männer des Dorfes stehen an der Bar und rauchen, im Flachbildschirm ein Fußballmatch der französischen Liga. Tschocherlatmosphäre. Aber was für ein Kontrast dazu das Essen. Liebevoll zubereitet und serviert: vom Fisch über das perfekt gegrillte Gemüse bis zu den mangoldstrotzenden Stampfkartoffeln.

Umwege zum Naturdenkmal

Der nächste Morgen ist strahlend und frisch gewaschen. Der Weg nach Pučišća erweist sich als tricky. Was auf der Landkarte klar und vorhanden erscheint, ist in Wirklichkeit ganz anders. Wege hören plötzlich auf. Tiefe Täler zwischen waldigen Hügeln wollen überwunden werden. Aber wie? Es wird ein Tag der Umwege. Und die führen uns vorbei an einem Naturdenkmal. Da steht auf einmal – mitten in der Pampas sozusagen – eine 150-jähriger mandelblättriger Birnbaum (Pirus amigdaliformis) mit Begleittext. Ein Baum der einst typisch für Dalmatien war und mittlerweile sehr sehr selten ist.

Ein Blick auf das Biokovogebirge.
Foto: Reinhilde Becker

Sieben Stunden Gehzeit für acht Kilometer Luftlinie das macht anschaulich, wie widerspenstig diese Landschaft auch sein kann. Wir nehmen es gelassen, sind wir doch extra angereist, um zu gehen. Doch wegen den Umwegen haben wir wichtige Zeit verloren für die eingeplante Sehenswürdigkeit Nummer fünf. Den Steinbruch von Pučišća. Hier wurde der cremeweiße Kalkstein gebrochen für das Parlament und die Hofburg aber auch für das Weiße Haus in Washington.

Langer Abschiedsblick aufs Meer

Heute können selbst die riesigen Maschinen die weltweite Nachfrage kaum befriedigen. Zwei Jahre Wartezeit auf den Stein aus Brač ist normal. Mit eigenen Augen anschauen ist sich leider nicht mehr ausgegangen. Dafür aber ein Käseomelett mit gedünsteten Zichorien. Was ist daran besonders? Den einfachen, landestypischen Käse kriegt man bei uns halt nicht so leicht, genauso wie die wilden Verwandten von Chicoree und Endivie.

Die Aussicht, die wir beim Mittagessen in Postira hatten.
Foto: Reinhilde Becker

Die Wanderung endet. Es ist der erste Mai. Begleitet von der örtlichen Blasmusik verlassen wir Pučišća. Und auch für den letzten Tag gibt es einen Besichtigungsplan, den wir nicht verwirklichen. Wir sind nämlich nun einfach zu müde, um auf dem Rückweg nach Supetar noch einmal ins Inselinnere abzubiegen, nach Škrip, dem ältesten Ort von Brač. Lieber halten wir uns direkt an die Küstenlinie, einerseits, um nicht mehr vom Weg abzukommen, andererseits wollen wir noch einen langen Abschiedsblick aufs Meer werfen können. Wir essen zu Mittag in Postira, trinken Kaffee in Splitska und Plavac von der Insel in Supetar, wo es sich herrlich auf die nächste Fähre nach Split warten lässt. Rote Nelken treiben im Hafenbecken. Dass ich unbedingt noch einmal nach Brač will, braucht nicht extra gesagt zu werden. (Reinhilde Becker, 8.5.2019)