Eine Therapie ist für viele Studierende zu teuer. Angehende Therapeuten bieten leistbare Alternativen an. Dabei stehen sie unter der Supervision von Lehrenden.

Foto: iStock

Fast jeder zweite Studierende steht unter Stress – und zwar so sehr, dass er Schwierigkeiten im Studium hat. Ausgelöst wird der Druck etwa durch Konzentrationsschwierigkeiten oder fehlende Studienmotivation. Annähernd gleich viele leiden unter psychischen Belastungen wie Versagens- und Prüfungsängsten oder depressiver Stimmung. Das zeigt die aktuelle Studierendensozialerhebung.

Kathrin Wodraschke ist stellvertretende Leiterin der psychologischen Studierendenberatung Wien. Sie sagt, "Studierende seien "hohem Leistungsdruck ausgesetzt". In den vergangenen 20 Jahren habe sich die Zahl derer, die sich mit psychischen Pro blemen wie Depressionen oder Angststörungen an die Beratung wenden, um etwa 70 Prozent erhöht.

Schwer zu finanzieren

Während des Studiums ist Psychotherapie für viele schwer finanzierbar. Eine Einzelsitzung kostet von 70 bis 150 Euro. Kassenplätze sind rar, die Zuschüsse zu selbstfinanzierten Therapien für viele zu niedrig. Eine Alternative sind Behandlungen von angehenden Therapeuten. Denn diese dürfen, sobald sie den Status "Psychotherapeut in Ausbildung unter Supervision" haben, in einer Praxis Patienten behandeln. In der Regel verlangen sie 30 Euro pro Stunde.

Einer, der bald so weit ist, ist Philipp Lioznov. Nach einem Psychologie-Bachelor und einem Master in Klinischer Psychologie an der Uni Wien macht er aktuell die Ausbildung zum Psychotherapeuten an der Sigmund-Freud-Privatuniversität. Wer in Österreich Therapeut werden will, kann das nur privat machen – und muss bis zu 35.000 Euro dafür zahlen.

Derzeit macht Lioznov im Rahmen seiner Fachspezialisierung in Verhaltenstherapie ein unbezahltes Praktikum an einer Wiener Akutpsychiatrie. Dort behandelt der 28-Jährige Patienten jedes Alters, auch Studierende. Eine habe an Prüfungsangst und Schlafstörungen gelitten, weil sie ihr Studium nicht abbrechen wollte, obwohl es ihr nicht gefiel. Dank Therapie wechselte sie ihre Ausbildung, sagt Lioznov.

Monatliche Supervision

Zweimal wöchentlich wird er bei den Sitzungen von Psychotherapeuten und Psychiatern beaufsichtigt. Zudem hat er einmal monatlich Supervision, wo er Fälle besprechen kann, Tipps bekommt, wenn er ansteht, und seine Arbeit reflektiert. "Wenn sich Studierende an uns wenden, müssen sie wissen, dass da nicht einfach ein junger Student sitzt, und das war’s. Wir sind in enger Betreuung."

Zu Beginn seiner Ausbildung sei er von manchen Patienten wegen seines Alters nicht ernst genommen worden, sagt er. Besonders Therapieerfahrene würden gerne ihre Therapeuten testen. Dennoch sieht er keine Gefahr darin, dass angehende Therapeuten arbeiten dürfen, sondern Vorteile: Die Hemmschwelle könne niedriger sein, wenn man sich an eine etwa gleichaltrige Person wendet. Und sie hätten das gleiche "Kulturverständnis". Lioznov: "Ich kenne viele Probleme, die einen während des Studiums plagen. Etwa Einsamkeit, Zukunftsängste und finanzielle Belastungen." Das Wichtigste in der Psychotherapie sei die Beziehung zwischen Therapeut und Patient.

Kritischer und lernbereit

Einer Langzeitstudie aus den USA zufolge kann die Leistung von Psychotherapeuten mit der Arbeitserfahrung sogar abnehmen. Junge Therapeuten seien selbstkritischer, reflektierter und eher lernbereit, findet Lioznov. "Auch wenn die Pflicht zur Weiterbildung besteht, könnte man als langjähriger Therapeut vielleicht aufgrund des Altersunterschiedes sein Gegenüber nicht mehr genau genug verstehen."

Auch in der psychologischen Studierendenberatung arbeiten Psychotherapeuten in Ausbildung. Zwar fehle Therapeuten in Ausbildung ein gewisses Maß an Erfahrung, doch sei deren Engagement meist höher, findet Leiterin Wodraschke. Auch die Supervision trage zum Gelingen bei.

In sechs Monaten darf Lioznov seine eigene Praxis eröffnen, dann hat er die Ausbildung abgeschlossen. Bis dahin muss er sich seinen eigenen Patientenstamm aufbauen. (Allegra Mercedes Pirker, 11.5.2019)