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Zuerst auf viele Kübel aufteilen, dann sukzessive wieder zusammenschütten: Das Marvel-Prinzip, Superhelden innerhalb eines Universums aufzuteilen, hat dem Blockbuster ein neues Erfolgsmodell beschert. Aktuell steht der letzte "Avengers" auf Platz zwei der erfolgreichsten Filme.

Foto: Reuters

Im Jahr 2005 kam in Amerika ein Film ins Kino, den heute nur noch wenige Fans auf dem Schirm haben: Zathura – Ein Abenteuer im Weltraum. Der Regisseur Jon Favreau zeigte sich hier immerhin so geschickt im liebevollen Umgang mit Science-Fiction-Motiven, dass er für eine spannende Aufgabe ausgewählt wurde: für einen Film über Iron Man. Mit diesem nicht eben zentralen Superhelden machte das Comic-Haus Marvel Mitte der Nullerjahre erste Anstalten, die Kontrolle über sein Figurenuniversum im Kino zu übernehmen – und zurückzugewinnen.

Marvel Entertainment

Auch Robert Downey Jr., der Darsteller der schillernden Figur Tony Stark (die zivile Existenz des Iron Man), hatte damals nicht gerade die allerbesten Referenzen. Er erwähnt heute gern Kiss Kiss Bang Bang, eine Krimikomödie, in der er an der Seite von Val Kilmer agierte. Regie führte Shane Black, der 1993 mit einem Drehbuch berühmt wurde, das damals Arnold Schwarzenegger auf den aufgepumpten Leib geschrieben war: Last Action Hero.

Es sind die Schöpfer des Marvel Cinematic Universe selbst, die in den letzten Wochen immer wieder auf diese Phase verwiesen haben, in der nicht viele darauf gewettet hätten, dass aus dem Kinostart von Iron Man ein gutes Jahrzehnt später der sagenhafte kommerzielle Erfolg von Avengers: Endgame und der Abschluss eines Erzählzyklus in 22 Teilen folgen würde. Es gehört zur Mythologie einer so fulminant aufgegangenen Strategie, dass am Anfang ein Stück Skepsis gestanden haben muss.

Souverän geplant

Die aktuellen Besucherzahlen von Avengers: Endgame setzen derzeit Maßstäbe im Blockbusterkino. Verblüffend im strengen Sinn sind sie nicht: Dazu waren das erzählerische wie das kommerzielle Kalkül nach der ersten Hälfte des nunmehrigen Films, also nach Avengers: Infinity War, zu offensichtlich. Es zeugt jedoch von dem Selbstbewusstsein, das Marvel in zehn Jahren entwickelt hat, wie souverän der zwischenzeitliche Abschluss des Universums als zweiteiliger (Beinahe-)Sechsstünder geplant und umgesetzt wurde.

Die Rückschau nicht nur auf Iron Man, sondern bis zu Last Action Hero und in eine andere Ära das Blockbusterkinos macht Sinn, um sich zu vergegenwärtigen, was sich seither geändert hat. Mitte der 90er-Jahre konnte man den Eindruck haben, die Heldengeschichten liefen sich tot: an der eigenen Formelhaftigkeit einerseits, an einer postmodernen Kultur der Selbstbezüglichkeit und Ironie andererseits. Hollywood könne nur noch Fortsetzungen, lautete der Vorwurf, im Grunde kopiere die Industrie nur Erfolgsrezepte ständig um und schmeiße (weiße männliche) Stars wie Arnie oder Bruce Willis immer wieder in dieselben heißen Gewässer.

Der Vorwurf schaler Schematik galt bis einem gewissen Grad dann auch noch für den Neustart von Stars Wars. 1999 begann George Lucas, das von ihm erfundene Science-Fiction-Universum zu erweitern. Um Zeitgeist oder popkulturelle Stimmungslagen kümmerte er sich dabei wenig. Star Wars funktionierte gerade in seiner Losgelöstheit als naive, autonome Schöpfung sehr gut.

Idee des Gesamtauftritts

Bei Marvel hingegen ging es von 2008 an um vielerlei zugleich: um einen markenpolitischen Bereinigungsakt (die Assets, also wichtige Figuren, befanden sich, so könnte man sagen, im Streubesitz), um die Organisation eines Gesamtauftritts, der komplex ist und gerade dadurch die Fanarbeit anregt, die mit Überblicks-Wikis für die Freilegung der impliziten Ordnung sorgen; um eine gute Balance zwischen Fantasie und gesellschaftspolitischer Sensibilität.

Dass all das unter dem Konzerndach von Disney stattfand, also in Sichtweise zu der anderen Franchise-Maschine, dem Animationsstudio Pixar, und zu Bemühungen der Mutterfirma, ihr Figurenarsenal immer wieder neu aufzustellen, legt einen kulturhistorischen Vergleich nahe: Im 19. Jahrhundert stand das Sammeln von Sagen und Märchen in einem nationalen Kontext, im 21. Jahrhundert dient das fiktionale Personal – der korporative Familienroman von Schneewittchen bis zu Falcon – den Datengiganten als Begleit erzählung zu hegemonialen Anstrengungen.

Es wäre aber verkehrt, dabei nur von einem Ablenkungsmanöver zu sprechen, von einer Gelddruckmaschine, auf der Hieroglyphen angebracht wurden. Gerade die Dramaturgie, der langsame Beginn von Avengers: Endgame zeigt, dass der kommerzielle Erfolg auch wieder künstlerische Freiheiten schaffen kann. Das liegt in der Logik des beschleunigten Datenkapitalismus: Zwischen Konsolidierung und Experiment liegt häufig nur ein Fingerschnippen. (Bert Rebhandl, 9.5.2019)