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Im syrischen Flüchtlingslager al-Hol sollen zwei Enkelkinder eines französischen Paars leben.

Foto: Reuters / Ali Hashisho

Es ist eine der offenen Fragen des Syrien-Kriegs, die viele europäische Staaten umtreibt: Was tun mit den Kindern umgekommener oder in Haft befindlicher Jihadisten? Allein die französischen Kinder werden vom Geheimdienst in Paris auf 200 bis 300 geschätzt. Ein Drittel soll im Kriegsgebiet selbst geboren sein. Viele leben unter prekären Bedingungen in Auffanglagern, und ihre Zukunftsaussichten sind nicht eben verheißungsvoll.

Sollen sie nach Frankreich zurückkehren, in das Land ihrer Staatszugehörigkeit, das sie noch nie gesehen haben? Diese Kleinkinder könnten "nichts dafür", meinen Befürworter in Internetforen. Dagegen wird gefragt, ob diese "kleinen Löwen des Kalifats", als die sie die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) vereinnahmt, nicht "potenzielle Zeitbomben" darstellten.

In Umfragen sind 90 Prozent der Franzosen gegen die Rückkehr der erwachsenen Jihadisten; eine Mehrheit von 67 Prozent will aber auch die Kinder vor Ort belassen. Eine im März gestartete Petition zur Aufnahme der IS-Waisen vereinigte einige Tausend Unterschriften, was für französische Verhältnisse eher dürftig ist.

Die Regierung stellt sich auf den Standpunkt, dass die erwachsenen IS-Kämpfer vor Ort abgeurteilt werden und die Strafe absitzen sollen. Die Frage der Kinder will sie "von Fall zu Fall" zu regeln, wie Präsident Emmanuel Macron schon im März erklärt hat. Vor allem, wenn die Mutter noch lebt oder leben könnte, orten Juristen des Außenministeriums völkerrechtliche Probleme. Zumindest in diesem Fall kommen ihre Kinder nicht nach Frankreich.

"Mutter ist im Himmel"

Vor ein paar Wochen brachte ein Geheimkommando der französischen Armee in einer gefährlichen Mission fünf Waisenkinder nach Frankreich. Der einjährige Obeida hatte Narben von Granatsplittern im Gesicht, sein dreijähriger Bruder kann nicht mehr gehen. Der Älteste der drei Brüder, Saleh, sagte bei der Ankunft zu seinen Großeltern: "Meine Mutter ist im Himmel." Julie Maninchedda, wie sie hieß, stammte aus einer nordfranzösischen Durchschnittsfamilie, war einem deutschen Jihadisten nach Syrien gefolgt und dort mit einem weiteren Kind umgekommen.

Wie auch in anderen Fällen kümmert sich vor allem die Großmutter um die drei Kriegswaisen. Über die Medien hatte Lydie Maninchedda monatelang Druck auf die Behörden ausgeübt, die Kleinen zurückzuholen. "Es ist ein Glück, auch wenn es wegen der Umstände ein bittereres Glück ist", meinte die Frau, die mit ihrer Tochter bis Oktober 2018 in telefonischem Kontakt gestanden hatte, bevor dieser abrupt abriss.

Großeltern gehen vor Gericht

In einem anderen Fall wenden sich nun französische Großeltern an den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof, um die Rückkehr zweier Enkelkinder aus Syrien zu erreichen. Das Paar, das seine Identität nicht bekanntgibt, ließ am Montag verlauten, der dreijährige Bub und das vierjährige Mädchen lebten sehr geschwächt im riesigen Zeltlager al-Hol (73.000 Personen). Sie seien unterernährt, litten unter chronischem Durchfall und seien von Cholera und Tuberkulose bedroht.

Ihre in Frankreich per Haftbefehl gesuchte Mutter ist in kurdischer Haft. Sie soll zur Rückkehr nach Frankreich bereit sein. Die Großeltern meinen in ihrer Klageschrift gegen den Staat, die Verweigerung der Rückkehr kranker Kinder sei ein "vorsätzlicher" Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention. Laut dem vierten Protokoll dürfe ein Staat einem Bürger die Einreise auf sein Gebiet nicht verweigern.

Die französische Regierung bereitet nun eine Replik vor. Kurz vor den Europawahlen hält Macron an seiner Einzelfalldoktrin für IS-Kinder fest. Auf keinen Fall will er den Eindruck erwecken, dass er generell die Tür für Jihad-Rückkehrer öffne.

Rückkehr gescheitert

Oft ist allerdings nicht böser Wille schuld, sondern die schwierige rechtlose Lage vor Ort. Im April gab Paris auf Drängen einer Großmutter grünes Licht für die Repatriierung eines knapp Dreijährigen, wie die Zeitung Le Parisien berichtete. Er lebt im Auffanglager Roj, nachdem seine Eltern schon 2017 bei einer Bombardierung umgekommen sind. Die Mutter der getöteten Jihadistin alarmierte die Behörden, und diese stimmten der Aufnahme des Buben in Frankreich zu.

Als ihn die Lagerleitung aber holen wollte, stellte sich dem die anwesende Großmutter väterlicherseits entgegen. Die IS-Sympathisantin hatte ihrem Enkel den Kriegsnamen seines verstorbenen Vaters gegeben und weigerte sich, den Buben gehen zu lassen. Unfähig, den Konflikt zu lösen, mussten die französischen Armeevertreter unverrichteter Dinge abziehen. (Stefan Brändle aus Paris, 9.5.2019)