Im rumänischen Sibiu, zu Deutsch Hermannstadt, wurden am Mittwoch gelbe EU-Sterne aufs Pflaster geklebt, um dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs den Boden zu bereiten.

Für Jean-Claude Juncker ist der EU-Gipfel in der rumänischen Stadt Sibiu der letzte große Auftritt im Kreis der Staats- und Regierungschefs. Zwar könnte es wenige Tage nach den EU-Wahlen Ende Mai noch ein außertourliches Treffen geben. Ratspräsident Donald Tusk behält sich das vor, weil die EU-Spitzen dem Europäischen Parlament einen Vorschlag zur Besetzung des neuen EU-Kommissionspräsidenten machen müssen, der am 16. Juli in Straßburg gewählt werden soll.

Aber Juncker wird dann eben keine wichtige Rolle mehr spielen. Er ist – wie die Amerikaner sagen – eine "lame duck" im Amt, ein lahmer Präsident einer Übergangsregierung. Nicht zuletzt deshalb nutzte er die Tage vor Sibiu, um eine erste Bilanz zu ziehen und den Europäern ins Gewissen zu reden, was die wichtigsten politischen Dinge für die nächsten Jahre seien. "Stärke und Einigkeit" müssten die 28 Mitgliedsstaaten zeigen, um in der globalisierten und digitalisierten Welt von morgen zu bestehen, schrieb er den Regierungskollegen ins Stammbuch.

Sie müssten sich auf wenige, dafür entscheidende "Prioritäten" konzentrieren, statt sich zu verzetteln. Die EU habe ihre wirtschaftliche Krise zwar überwunden, aber der Wohlstand sei ungleich verteilt, die Union müsse soziale Politik mehr ins Zentrum rücken, so der Christdemokrat. Er sei stolz darauf, dass Griechenland in seiner Amtszeit nicht aus dem Euro geflogen sei. Die Eurozone müsse nun weiter gestärkt werden.

Brexit größter Fehler

Sein größter Fehler sei es gewesen, sich vor dem Brexit-Referendum nicht in die innerbritische Debatte einzumischen. Die Kommission hätte die Briten aufklären können über die Nachteile, die falschen Behauptungen. In Sibiu wollte die Kommission ursprünglich Anstoß geben zu einem "neuen Aufbruch". Das kann jetzt nur schaumgebremst geschehen, weil die Briten an den EU-Wahlen teilnehmen und es völlig ungewiss ist, ob sie bis 31. Oktober aus der Union austreten und wie es dann weitergeht. Tusk will daher den Schwerpunkt der Beratungen des Gipfels auf Inhalte setzen, auf die strategische Ausrichtung der Gemeinschaft auf längere Sicht.

Dazu gehört in erster Linie, sich zu überlegen, wie Europa als Gesamtes sich neben den USA, China und Russland behaupten will. Aber auch in diesem Fall bleibt Großbritannien die große Unbekannte. Denn das Noch-EU-Mitglied wird als Atommacht, G7-Staat und eines von fünf Ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats auch in Zukunft eine Schlüsselrolle spielen. Die EU-27 müssen sich daher überlegen, wie sie die Briten als engste Partner erhalten können. Auch wenn Premierministerin Theresa May nicht nach Sibiu kommen sollte: Wegen des ungelösten Brexit-Themas sitzt sie unsichtbar mit am Tisch. (Thomas Mayer aus Sibiu, 9.5.2019)