Bild nicht mehr verfügbar.

Passivsport war gestern: Der Sportkonsument der Zukunft könnte um einiges engagierter als heute sein müssen.

Foto: Joseffson / Westend61 / picturedesk.com

Couchpotatos müssen jetzt stark sein: Die Zeiten des Passivsports neigen sich allmählich dem Ende zu. In Zukunft wird dank Virtual-Reality-Brillen und interaktiver Begleitprogramme weit mehr Einsatz beim Sportkonsum gefragt sein. Allzu sehr brauchen selbsternannte Teamchefs aber nicht um ihre Bequemlichkeit zu fürchten: Angstschweiß wird weiter der einzige Schweiß sein, der in die Chipsschüssel tropft, wenn der Stürmer der Herzensmannschaft zum entscheidenden Elfmeter antritt. Denn die Art und Weise, wie in Zukunft Sport konsumiert wird, wird lediglich ein Organ stärker herausfordern – unser Gehirn.

Sport-Entertainment ist ein Milliardengeschäft – und gleich mehrere Branchen wittern ein gewaltiges Wachstums- und Gewinnpotenzial in der Art und Weise, wie wir in Zukunft Sport konsumieren werden. Bereits einmal in der Geschichte haben neue technologische Möglichkeiten den Sport radikal umgekrempelt – beispielhaft König Fußball: Plötzlich konnte man große und regelmäßige Sportveranstaltungen und Turniere live und in hoher Qualität in die Welt senden. Live-Übertragungen sind dank Virtual-Reality-Brillen zum intensiven Erlebnis geworden und liefern Stadion- und Rennstreckenatmosphäre direkt nach Hause. Spielerstammdaten lassen sich interaktiv und in Echtzeit abfragen und analysieren, Fans vernetzen sich gleich während des laufenden Wettbewerbs miteinander. Auch die Sport- und Wettanbieterindustrie hört die Signale und macht sich bereit für das nächste große Ding.

Es bleibt emotional

Dabei verfolgen noch immer 64 Prozent der passivsportaffinen US-Amerikaner Sportsendungen am liebsten konservativ im Fernsehen. Das zeigt eine aktuelle Studie des Martforschungsinstituts Deltatre. Doch schon jeder zweite Zuseher nutzt dafür regelmäßig das Smartphone. Noch relativ selten, für das frühe Entwicklungsstadium dennoch beeindruckend oft, nutzen US-Amerikaner Virtual-Reality-Brillen zum Sportkonsum: Sieben Prozent sehen Live-Sport schon durch die Brille.

Egal ob auf Höhe des Boxrings, oder vom Basketballkorb aus. Mit neuen Virtual-Reality-Brillen werden die Zuseher immer öfter selbst entscheiden können, was sie sehen wollen.

Wer keine VR-Brille hat, kann durch Klicken und Ziehen in Ansätzen nachvollziehen wie solch ein VR-Erlebnis aussehen könnte.
NextVR

Doch lässt sich das soziale Element beim Sportkonsum einfach so ersetzen? Auch in Zukunft dürften viele Sportfans das Beisammensein in gemütlicher Runde schätzen – im Pub, beim Grillen oder bei großen Public-Viewing-Events. "Keine Virtual-Reality-Brille kann diese Emotionen ersetzen", sagt Sky-Pressesprecher Michael Huebner. Aber man versuche den Konsumenten alle Möglichkeiten zu bieten, noch intensiver in das Eventerlebnis einzutauchen, etwa mit der On-Board-Kamera in der Formel 1.

Wachstumsmarkt Streaming

Vor allem jüngere Menschen suchen gezielt mehr Unterhaltung als den reinen Wettkampf, das Spiel oder das Rennen, dennoch greifen auch ältere Zuseherinnen und Zuseher immer häufiger zum Smartphone als Second Screen – etwa zur Statistikrecherche oder um Highlights mit Freunden zu teilen. Auch der STANDARD-Liveticker zu großen Sportevents bedient das Bedürfnis, sich spielbegleitend mit anderen Zusehern auszutauschen. Oft durchaus humorvoll – der in diesem Forum einst getätigte Ausspruch "Alaba unauffällig" hat sich längst über Ressortgrenzen hinweg verselbstständigt und hält sich bis heute.

In den vergangenen Jahrzehnten brachten meist öffentlich-rechtliche Fernsehsender den Menschen den Livesport ins Haus. Seit Ende der 1980er spüren diese Anbieter den stärkeren Druck von Bezahlsendern, die oft Exklusivrechte für ganze Ligen und Turniere kaufen. Seit es relativ einfach ist, große Datenmengen zu übertragen, erschienen mit den Online-Streamingdiensten weitere potente Mitstreiter auf der Bildfläche. Sie wollen den Markt beherrschen.

Plattformen wie Dazn erreichen durch ein breites Live- und On-Demand-Angebot, hohe Qualität und Zuverlässigkeit, geschicktes Marketing mit Highlight-Clips in den sozialen Medien und eine monatlich kündbare Flatrate ein zahlendes Millionenpublikum. Der Streamingdienst expandierte mittlerweile in neun Länder – weitere dürften folgen. Entsprechend selbstbewusst gibt man sich bei Dazn auf Anfrage: Man gehe davon aus, dass man mit der Individualisierung des Streamingangebots auf das richtige Pferd setzt. "Die Zukunft des Bewegtbildkonsums liegt eindeutig im Internet", sagt ein Unternehmenssprecher dem STANDARD. Man arbeite weiter daran, Streaming auf allen Geräten inklusive internetfähiger Fernsehapparate jederzeit in gleichbleibend hoher Qualität anbieten zu können.

Auch Spiel-Analysen finden bereits zusehends mit Hilfe von VR-Brillen statt.
Sky Sports Football

Regieren auf kurze Aufmerksamkeitsspanne

Ihr Stück vom Kuchen beanspruchen aber auch Internetriesen wie Netflix, Google und Facebook. Sie testen aktuell Live-Formate bei ausgewählten Sportevents – im Fall von Amazon etwa eine Übertragung des beliebten Thursday Night Football.

Der nächste Boost im Markt kündigt sich für Anfang 2020 an – da laufen die langjährigen Lizenzverträge der vier großen US-Spitzenligen Basketball, American Football, Eishockey und Baseball aus. Zu erwarten ist eine Milliardenschlacht, an der sich traditionelle und neue Sport-Entertainmentanbieter beteiligen werden. Selbst konservative Schätzungen gehen davon aus, dass Anbieter mehrstellige Milliardenbeträge berappen müssen, wenn sie ihren Kunden Live-Übertragungen aus den "großen vier" Sportarten anbieten wollen – zusätzlich zu den hauseigenen Streamingangeboten der Ligen und mancher Teams.

Laut Deltatre-Analyse liegt die Schmerzgrenze des US-Publikums für den monatlichen Sportkonsum bei rund 39 Dollar pro Person; knapp zwei Drittel der Nutzer seien bereit, diesen Betrag zu bezahlen. Allerdings sind junge Nutzer laut Deltatre-Studie weniger zahlungswillig. Doch Streaminganbieter müssen auch die Jungen zur Kasse bitten, wenn sie viel Gewinn machen wollen. Das soll etwa gelingen, indem auf die kürzer werdende Aufmerksamkeitsspanne junger Menschen reagiert wird: Eine Idee sind günstigere Streamingpakete, bei denen zum Beispiel nur mehr das letzte Viertel eines Footballspiels gezeigt wird.

Wetten – immer und überall

Wer in zehn Jahren mit einer VR-Brille auf der Nase verfolgt, wie Österreichs Tennisstar Dominic Thiem im Finale der French Open seinem Rivalen das entscheidende Ass zum Titelgewinn hinschmettert, wird sich im selben Moment mit der Ansage "Shirt kaufen!" das Siegertrikot bestellen können – ganz einfach mittels Sprachkontrolle. Dasselbe wird mit den Fußballschuhen des Champions-League-Torschützenkönigs funktionieren und mit den Skiern unserer nächsten Olympiasiegerin. Die Kamerafahrt wird schon bald noch realer wirken und praktisch bei jeder Fahrt aktivierbar sein.

Auch die Wettindustrie dürfte sich durch zunehmende Interaktivität und neue Sehgewohnheiten verändern: Wer sich wie der Jockey beim Kentucky-Derby fühlt, nach links, rechts und hinten schauen kann, glaubt wohl, noch besser einschätzen zu können, welches Pferd das Rennen macht. Ein schnelles "30 Euro auf Lucy!" wird reichen, um einen Wetttipp abzugeben. Irgendwie müssen die Milliarden für die Fernsehrechte ja refinanziert werden. Mehrere Branchen wittern also in der direkten Einbettung verschiedener Features in Live-Übertragungen lukrative Geschäftsmöglichkeiten. Für den Couchpotato der Zukunft könnte all das heißen, dass er um einiges engagierter als heute sein muss beim Konsum des Lieblingssports. (Fabian Sommavilla, 9.5.2019)