Wenn Humboldt Zitteraale erforschen will, lässt er sie schon mal auf Wildpferde los.
C. Bertelsmann/Wulf, Melcher

"Im Regenwald sah ich, wie Schlingpflanzen riesige Bäume erwürgten – und ich erkannte, dass alles Leben miteinander verflochten und in einen heftigen Kampf verstrickt ist. (...) Damals herrschte noch die allgemeine Ansicht vor, die Natur sei eine gut geölte Maschine, in der jedes Tier und jede Pflanze einen von Gott zugewiesenen Platz einnehme. (...) Da bin ich anderer Meinung." Alexander von Humboldt ist nicht nur Zeuge, er ist Teil dieses Kampfes, Teil der Naturgewalten – daran lässt die Graphic Novel "Die Abenteuer des Alexander von Humboldt", die dessen Lateinamerikareise von 1799 bis 1804 abbildet, keinen Zweifel.

Raus aus der Komfortzone

Egal ob er und seine Begleiter moskitozerstochen gegen die unbekannten Strömungen des Orinoco antreten oder sich im Nebel auf die unwirtlichsten Vulkangipfel in den Anden schleppen: Kein noch so absurder Abstecher ist dem Entdeckungsreisenden zu umständlich, wenn es darum geht, nur den kleinsten Teil jenes Puzzles aufzuklauben, das eine Erklärung der überwältigenden Natur ringsum bieten könnte.

Die Schauplätze – die heutigen Staaten Venezuela, Ecuador, Kolumbien, Peru, Mexiko – sind beileibe keine Komfortzone. Und so steuert Humboldt direkt auf einen Jaguar zu, um sein Jagdverhalten zu studieren. Er lockt Piranhas an und stellt Krokodilen nach, um ihre Zähne zu zählen. Er lässt in einem Teich Zitteraale auf Wildpferde los, damit sie den Großteil ihrer tödlichen Elektrizität verlieren. Anschließend fängt er die Aale unter Schmerzen und führt Experimente mit ihnen durch.

Immer wieder kommen die Abenteuer nur knapp mit dem Leben davon – kein Grund zum Aufgeben.
C. Bertelsmann/Wulf, Melcher

Die Sachbuchautorin Andrea Wulf, die mit "Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur" 2016 einen Weltbestseller veröffentlichte, ist noch einmal den Spuren des preußischen Draufgängers gefolgt – und zwar zusammen mit der Illustratorin Lillian Melcher. Die Graphic Novel "Die Abenteuer des Alexander von Humboldt" ist weit mehr als eine Comic-Biografie: Sie ist förmlich Ausdruck der faszinierenden Obsession des Forschers, seines kompromisslosen Willens zur Dokumentation jeglicher Ausformungen der Umwelt, vom Grashalm bis zum Berggipfel.

Originale Skizzen und Pflanzenproben

Die Bildsprache fungiert dabei als Spiegel von Humboldts visionärem Verständnis einer Welt voller Wechselwirkungen. Wässrig kolorierte Comicpassagen sind verwoben mit Collagen, Fotos, großformatigen Zeichnungen und Seiten gespickt mit penibelst gesammelten Details. Die Texte beruhen auf Humboldts veröffentlichten Werken, seinen Tagebüchern, Aufzeichnungen und Briefen. Originalnotizen und -skizzen dienen auch als Illustrationselemente genauso wie während der Expedition gesammelte Pflanzenproben, Karten, Kupferstiche und Humboldts "Naturgemälde". Nicht umsonst bezeichnet Wulf den Forscher als dritten Mitarbeiter des Buchs.

Wunderschöne Illustrationen werden kombiniert mit Abbildungen gepresster Pflanzen und viel Originalmaterial aus Humboldts Feder.
Foto: C. Bertelsmann/Wulf, Melcher

Entstanden ist eine visuelle Entdeckungsreise, die zwar chronologisch Humboldts Route folgt, aber immer wieder Abschweifungen in Vergangenheit und Zukunft nachgibt und Bezüge zu den Arbeiten Carl von Linnés und Charles Darwins herstellt. Wir bekommen das lebendige Bild eines vom Wissenshunger getriebenen, unprätentiösen Naturforschers, der mit unerklärlicher Energie und einer Armada an Instrumenten vermisst, seziert und dokumentiert, sich aber auch von seiner Intuition treiben lässt – und ein überaus respektvolles Interesse an den Indigenen und deren Kulturen zeigt.

Pionier der Klimaforschung

Die Erkenntnisse über Erdmagnetismus, Vulkanismus, Astronomie, die Wirkung von Chinin und Guano, um nur ein paar zu nennen, sind nachhaltig, seine liberale Einstellung und Ablehnung der Sklaverei zuweilen unbequem.

Nicht zuletzt war Humboldt ein Pionier der Klima- und Ökosystemforschung, etwa indem er die Folgen von Abholzung für den Grundwasserspiegel erkannte. So wundert es auch nicht, dass sein Ausblick in die Zukunft wenig Gutes verheißt: "Ich fürchte, eines Tages wird der Mensch zu fernen Planeten reisen. Und dann wird er diese tödliche Mischung aus Laster, Gier, Gewalt und Ignoranz auch auf diese Planeten bringen – wird sie veröden lassen und verwüsten, wie wir es heute schon mit der Erde machen." (Karin Krichmayr, 11.5.2019)

Ein animierter Trailer mit Illustrationen aus dem Buch gibt einen Eindruck von der grafischen Entdeckungsreise.
Verlagsgruppe Random House