Zukunftsängste, Schulstress und Co: Jugendliche stehen unter hohem Druck – sie wünschen sich mehr Zeit mit ihren Eltern.

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Wien – "Wenn ich gestresst bin, sind meine Eltern mit mir gestresst. Das macht die Sache nicht besser, sondern stresst mich zusätzlich", sagt Annika. Die Siebzehnjährige wurde im Rahmen einer Studie des Instituts für Jugendkulturforschung in Zusammenarbeit mit dem SOS-Kinderdorf zu ihrem Alltag, ihren Zukunftsängsten und ihrem Familienleben befragt. Fünf Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren wurden direkt interviewt, 400 Jugendliche im selben Alter nahmen an einer Online-Befragung teil.

88 Prozent der Befragten gab dabei an, von mindestens einem Aspekt des Familienalltags gestresst zu sein. "Meine Eltern haben Druck gemacht, sie legen großen Wert auf gute Noten. Gute Noten bedeuten in ihren Augen eine gute Zukunft", sagt die 18-jährige Jasmine. Über fünfzig Prozent der Jugendlichen gaben an, ihnen würde der Schul- und Ausbildungsstress oft zu viel.

Arbeit der Eltern als Stressfaktor

Ein Stressfaktor ist aber nicht nur der eigene Erfolg, sondern auch der der Eltern: Der vierzehnjährige Daniel erzählt etwa, wenn sein Vater sich zu Hause über die Arbeit aufrege, würde ihn das zusätzlich stressen.

Jasmine geht es ähnlich, im Gespräch erzählt sie von den Strategien, die sie entwickelt hat, um ihren Eltern beistehen zu können: "Wenn er (ihr Vater, Anm.) gestresst ist, ist er äußerst aufbrausend, und ich weiß, dass ich ihn in dieser Situation allein lassen muss. Mit meiner Mutter muss ich das Gespräch suchen, ansonsten führt das zu nichts."

Fast 40 Prozent der Jugendlichen gaben an, sich sehr oder eher gestresst zu fühlen, wenn ihre Eltern gestresst von der Arbeit nach Hause kämen. Kinder nehmen sich zudem selbst als zusätzlichen Stressfaktor ihrer Eltern wahr.

Auswirkungen von Stress auf Jugendliche

Familie sollte Jugendlichen Rückhalt bieten, und sie nicht noch zusätzlich unter Druck setzen, so SOS-Kinderdorf-Geschäftsführerin Nora Deinhammer.

Stress wirkt sich in jedem Fall negativ auf Jugendliche aus: Führt er in frühem Stadium zu Müdigkeit und schlechter Laune, können bei längerem Druck und schwerer Belastung auch Schlaf- und Verhaltensstörungen auftreten. Im schlimmsten Fall kann dauerhafter Stress schließlich zu Burn-out-Symptomen, sozialem Rückzug und Depressionen führen.

Eine Woche Urlaub zusätzlich

Nur knapp über dreißig Prozent der Jugendlichen sind mit ihrem derzeitigen Familienleben sehr zufrieden. Über die Hälfte würden gerne mehr Freizeit im Familienverband verbringen.

Deinhammer wünscht sich in der Lösung des Zeitproblems kreativere Ansätze als bisher: Familien mit minderjährigen Kindern könnten etwa eine Woche mehr Urlaub im Jahr bekommen. Über die Chancen, so eine Maßnahme tatsächlich durchzusetzen, sagt Deinhammer, es wäre "ein Signal" – nicht zuletzt dafür, dass die Problematik von Politik und Wirtschaft ernst genommen wird.

Appell an die Wirtschaft

Die SOS-Kinderdorf-Chefin lobt die Ganztagsschule als Arbeitsort der Jugendlichen, sodass zu Hause planbare Freizeit mit der Familie passieren könne. Auch die Wirtschaft müsse jedoch familienfreundliche Jobmodelle fördern: Väterkarenz und Elternteilzeit für beide Elternteile seien noch große Ausnahmen.

Ursula Berner, Sozial- und Familiensprecherin der Grünen Wien, appelliert dafür, die Studienergebnisse ernst zu nehmen. Sie begrüßt die Forderungen des SOS-Kinderdorfs: "Das Zusammenleben von Familien darf im 21. Jahrhundert doch wirklich nicht mehr an den äußeren Bedingungen scheitern", sagt sie. (Stefanie Schermann, 9.5.2019)