Ehe ein Auto auf der Straße fährt, gilt es Dinge zu erledigen, von denen der gemeine Autofahrer keine Ahnung hat. Zum Beispiel: Die Beschichtung von Hohlräumen in Karosserieteilen. Das kann man vorher simulieren.

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Linz – Man merkt Martin Schifko den Erfolg nicht auf den ersten Blick an. Der gebürtige Steirer übt sich gerne in angenehmer Bescheidenheit – dabei hat der 42-Jährige auf dem Erfolgsweg doch schon einige Kilometer zurückgelegt. Fakt ist, dass der Unternehmer die Dinge, ob privat oder beruflich, gerne in der Hand hat.

Abschied von Magna

Oder besser: Wer Parallelen zwischen Schläger, Spielkarten und hoher Computerkunst sucht, wird bei Martin Schifko landen. Der studierte Mathematiker war nämlich erfolgreicher Spieler und langjähriger Trainer der österreichischen Racketlon-Mannschaft und international vielbeachteter Profi-Bridge-Spieler und leitet heute die Software-Schmiede Engineering Software Steyr GmbH (ESS).

Nach Jahren bei Magna in St. Valentin, Schifko hat dort die Entwicklung der Lackieranlagensimulation geleitet, machte der verheiratete Familienvater just an seinem Geburtstag den entscheidenden Schritt in die Selbstständigkeit. In einem Management-Buy-out übernahm Schifko 2015 den digitalen Simulationsbereich und gründete in einem Haus direkt am Steyrer Stadtplatz ESS. Was damals mit zwei Mitarbeitern begann, ist heute ein Unternehmen, das mit 40 Mitarbeitern aus immerhin 16 Nationen heuer einen Umsatz von rund drei Millionen Euro erwirtschaftete.

Flutwachs

Ein aktuelles Projekt von ESS ist etwa die Simulation der Beschichtung von Hohlräumen in Karosserieteilen (etwa Schweller) mit Flutwachs für Audi und Volkswagen. Bei diesem Prozess wird das Wachs als Korrosionsschutz mit Düsen in den Hohlraum gespritzt. Mittels ESS-Software kann errechnet werden, wie man die Mindestschichtdicke erreicht und Lufteinschlüsse vermeidet und welche Bohrungen es braucht, damit das überschüssige Wachs restlos ausläuft.

Im Schnitt hat eine Karosserie rund 20 dieser Hohlräume. Eine entsprechend detaillierte Simulation beschleunige daher den Entwicklungsprozess und senke die Kosten entsprechend deutlich. Schifko: "Immerhin kostet ein einzelner Prototyp mehrere 100.000 Euro. Und in der Prototypenphase kann dann ein Versuch, ein zusätzliches Loch in eine Komponente zu bohren, schnell mit bis zu 200.000 Euro zu Buche schlagen." Das erklärte Ziel der Hersteller sei daher eine "Null-Prototypen-Serie". Dabei spielt die Spezialsoftware von ESS eine zentrale Rolle.

Inlandsfokus

In Österreich hat ESS für BMW Steyr eine Simulation für die Reinigung des sogenannten "HEAT-Gehäuses", in dem der Elektromotor sitzt, entwickelt. "Wir haben die Reinigung samt Entfernung der Späne virtualisiert. Das Projekt hat aus unserer Sicht weltweites Potenzial", glaubt Schifko.

Doch auch bei dieser speziellen Anwendung schweift sein Blick in die Ferne, so will er künftig verstärkt den heimischen Markt in den Fokus nehmen. Schifko: "Derzeit liegt die Exportquote bei 95 Prozent. Es ist aber grundsätzlich ein strategisches Ziel, stärker in Österreich Fuß zu fassen und auch mit mittelständischen Unternehmen zu arbeiten." Beeindruckend ist übrigens auch die für die Simulationen nötige Rechenleistung: Diese basiert auf Grafikkarten und liegt bei rund 660 Teraflops. Im Vergleich dazu verfügt das Rechenzentrum der Linzer Johannes-Kepler-Universität mit dem zweitgrößten Intel-Cluster Europas über 50 Teraflops.

Zu den Bridgekarten greift Martin Schifko heute aus Zeitmangel nur noch selten. Aber zumindest erinnert ein spezielles Foto an vergangene Spielertage. Am Kartentisch sitzt der 42-Jährige da übrigens mit Bill Gates. (Markus Rohrhofer, 11.5.2019)