Japanischer Pop-Kitsch trifft auf Krisen des Nahen Ostens: Monira Al Qadiris "Phantom Beard" feiert bei den Festwochen Weltpremiere.

  • Was tun, wenn man das Glück einer ganzen Population von Bergarbeitern ausgerechnet in der Fremde aufs Spiel setzt? Mariano Pensotti stellt ein ganzes Dorf aus Holzhäuschen in die Erste-Bank- Arena (Halle 3). In Diamante kommen die deutschen Einwanderer zu Wort, die der Hunger nach Reichtum nach Argentinien, in die dortigen Edelsteinminen, gelockt hat. Die Festwochen-Besucher erleben in Diamante während fünfeinhalb Stunden hautnah, wie sich eine Mustersiedlung in die Hölle auf Erden verwandelt.
  • Der Protagonist der diesjährigen Wiener Festwochen ist der 22. Gemeindebezirk. Vor den Vorhang gebeten wird: die Wohn- und Wachstumszone Donaustadt. Im Umfeld der Erste-Bank-Arena gedeiht selbstbewusstes Leben. Künstlerinnen wie die polnisch-kanadische Choreografin Ula Sickle spüren den Lauten des Protests nach. In Relay ist das Luftverdrängungsgeräusch beim steten Schwenken einer großen Fahne zu hören. Die Performer wechseln sich bei diesem fordernden und nicht enden dürfenden Akt (11. 5., 17-22) ab.

  • Im Senegal geboren, in Kuwait aufgewachsen und in Japan ausgebildet: Die Künstlerin Monira Al Qadiri (Jahrgang 1983) versteht es qua ihrer Biografie, verschiedene Kulturen zusammenzudenken. In ihrer Performance Phantom Beard, die bei den Festwochen Welturaufführung feiert (ab 17. Mai, Schauspielhaus Wien), schließt sie den zuweilen kitschigen Pop Japans mit der konfliktreichen Vergangenheit des Nahen Ostens kurz. Plot: 40 Männer begleiten in Geistergestalt eine Frau und behaupten, ihre Vorfahren zu sein.

  • Möge die Göttin der Weisheit zur Europawahl herabschauen. Die Französin Phia Ménard tut jedenfalls einiges dafür. Im Stück Unmoralische Geschichten: Das Stammhaus (ab 23. 5., MQ-Halle G) baut sie den griechischen Parthenon mit Karton nach, eine Art Haus für Europa, das von Vernunft, Kraft und Weisheit gelenkt wird. Zugleich soll in ihrer teilweise für die Documenta 14 in Kassel entstandenen Performance das wenig widerstandsfähige Material Karton an Unbehauste erinnern, Obdachlose und Geflüchtete.

  • War Werschinin, der begehrte Offizier in Tschechows Drei Schwestern, so melancholisch, oder war es "nur" dessen Darsteller vom Teatro Nacional in Lissabon? Cristina Vidal, die langjährige Souffleuse des Hauses, wird in dem Stück Sopro von Tiago Rodrigues zum Gedächtnisspeicher einer ganzen Theaterära. Sie souffliert ihre eigenen Erinnerungen und tritt – ziemlich widerwillig – erstmals aus dem Unsichtbaren ins Rampenlicht (7. & 8. 6., Theater an der Wien). Backstage-Geschichten – wir bitten darum!
    (afze, poh, 11.5.2019)