Kürzlich gab Bundeskanzler Sebastian Kurz der neuen Berliner Bürochefin der "New York Times", Katrin Bennhold, ein Interview. Die Journalistin des Weltblattes war nach Wien gekommen, um eine Story über die Übernahme der Sicherheitskräfte durch Kurz' Koalitionspartner FPÖ zu recherchieren: "Was passiert, wenn die extreme Rechte vom politischen Rand in die Hallen der Macht kommt?" Österreich als Testfall.

Kurz wird in der Story ("As Far Right Rises, a Battle Over Security Agencies Grows") mit der Aussage zitiert, dass die Verbindungen der FPÖ zu Russland "übertrieben dargestellt" würden. Er wäre auch zufrieden, dass die Partei alle Verbindungen zu den rechtsextremen Identitären gekappt habe: "Ich habe deutlich meine rote Linie gezogen."

Das wirft erneut die Frage auf, die schon länger schwelt: Nimmt der Kanzler der Republik Österreich die Gefahr nicht wahr, die dadurch entsteht, dass er der FPÖ Heer und Polizei sowie alle drei Geheimdienste überlassen hat? Oder ist er in dieser Sache ein Gefangener seines Koalitionspartners?

Das ist umso beunruhigender, als in dem Zusammenhang immer neue, seltsame Fakten auftauchen. Die eher konservative Rechercheplattform "Addendum" hat in einer großen Story über das Hacking von Politikerpasswörtern herausgefunden, dass FP-Klubobmann Johann Gudenus von einer russischen Mailadresse (johann.gudenus@mail.ru) versendet hatte (die sei alt, sagt er).

Paranoides Pamphlet

Erhellend auch die Aussage des früheren stellvertretenden Verfassungsschutz-Leiters Wolfgang Z. vor dem Untersuchungsausschuss. Das anonyme Konvolut, das dem FPÖ-Innenminister Herbert Kickl und seinen ausführenden Organen als Anlass für die Razzia im Verfassungsschutz (BVT) diente, sei "absoluter Schwachsinn" und "gespickt mit Hass". Tatsächlich fragten sich auch Journalisten, die das auch zu sehen bekamen, wie man ein solch paranoides Pamphlet zur Grundlage einer so großen Aktion machen könne. Inzwischen sind so gut wie alle Erhebungen in dem Zusammenhang eingestellt.

Aber Kickls Leute haben Unmengen von (nicht relevantem) Material aus der Rechtsextremismus-Abteilung abgeschleppt. Deren Leiterin sagte denn auch vor dem U-Ausschuss, sie habe bei der Razzia das Gefühl gehabt, der "Tag X" der großen Machtübernahme und Abrechnung, von der die Rechtsextremen in ihren Schriften immer träumen, sei nun da. Das wird in der "New York Times" zitiert.

Es besteht eine gute Chance, dass demnächst die FPÖ sowohl an die Spitze des Verfassungsschutzes als auch an jene des Heeresabwehramtes blaue Parteigänger setzen kann. Das Heeresabwehramt kümmert sich u. a. um Extremismus innerhalb des Heeres.

"Far right" an der Macht

Nahezu zeitgleich wurde bekannt, dass das Bundesheer unter der Leitung des FPÖ-Ministers Mario Kunasek "Verbindungsoffiziere" in Schlüsselministerien (Innen, Außen, Bildung, Infrastruktur, Kanzleramt, Vizekanzleramt) entsendet. Die Idee hatte der Generalsekretär im Verteidigungsministerium, ein FPÖ-Mann. Verfassungsrechtler halten diese "Spitzeloffiziere" für schwer bedenklich.

Zusammen mit dem Auftritt Kickls vor dem rechtsextremen Kongress "Verteidiger Europas" (vor seiner Innenministerschaft), mit dem Vertrag der FPÖ mit der russischen Putin-Partei, der Tatsache, und dem gemeinsamen Europakurs mit Le Pen, Salvini, Orbán und der AfD ergibt sich ein ziemlich eindeutiges Bild von der "far right" an der Macht.

Ausländische Geheimdienste haben die Zusammenarbeit mit Österreich stark zurückgefahren. Das stört Kurz aber nicht. Er hat verfügt, dass die Geheimdienste nun auch an ihn berichten müssen. Aber in der alles entscheidenden täglichen Arbeit können die FPÖler ihre Machtergreifung bei den Sicherheitskräften fortsetzen.

In der Story der "New York Times" wird "ein hoher Nachrichtendienstoffizier" nach der "roten Linie" von Kanzler Kurz gefragt. Er zieht mit dem Finger auf dem Schreibtisch eine Zickzacklinie. (Hans Rauscher, 10.5.2019)