Das Ausmaß der Zerstörung versetzt auch Experten in Staunen. Bis sich die Natur davon erholt hat, werden Jahrzehnte vergehen, sagt der Waldaufseher Wolfgang Huber.

Foto: Florian Lechner

Innsbruck – Niemand weiß, wann die Lawine gekommen ist. Aber sie war gewaltig. Zwischen dem 8. und dem 10. Jänner gerieten im Bereich Herzwiese auf der Innsbrucker Nordkette die Schneemassen in Bewegung. Zwei Kilometer weit donnerte die Staublawine ins Tal hinunter, direkt auf die Stadt zu. Auf einer Breite von anderthalb Kilometern hinterließ sie eine Spur der Verwüstung.

Die gewaltige Staublawine brach an der so genanten Herzwiese auf der Nordkette los.
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"Der Schutzwald hat seine Funktion erfüllt", sagt der Waldaufseher Wolfgang Huber beim Lokalaugenschein. Und fügt nach einem Blick auf die zerfetzten Baumstämme, die sich wie überdimensionale Mikadostäbe türmen, hinzu: "Das Problem ist nur: Jetzt gibt es hier keinen mehr." Selbst 300 Jahre alte Zeigerbäume, die den Waldaufsehern als Referenzpunkte dienten, wurden weggefegt: "Die Bäume standen hier seit einer Ewigkeit, das zeigt, wie ungewöhnlich groß diese Lawine gewesen sein muss."

Hubers Herkulesaufgabe ist es, die Aufräumarbeiten und Wiederaufforstung zu koordinieren. Das ist komplex. Mehr als 6000 Waldbesitzer zählt Tirols Landeshauptstadt. Die kleinste Parzelle misst nur 54 Quadratmeter. "Oft ist der Wald geerbt, selbst bewirtschaften kann ihn kaum noch jemand", erklärt Huber, der diese Aufgabe als Angestellter des Magistrats für die Besitzer übernimmt. Denn für die Stadt bedeutet der Wald nicht nur Erholungsraum, sondern in erster Linie Schutz.

Zur Aufarbeitung der Schäden braucht es schweres Gerät, das wegen des Quellschutzgebietes aber nur mit Biosprit betrieben werden darf.
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70 Prozent der bewaldeten Flächen Tirols sind Schutzwald. Daher gilt es, den Lawinenstrich über den Stadtteilen Arzl und Mühlau, wo rund 50 Waldbesitzer betroffen sind, so schnell wie möglich wieder aufzuforsten. Die Kosten dafür tragen die Eigentümer. "Ihre Motivation ist überschaubar", sagt Huber. Das müsse man verstehen: "Denn der Wald hier oben wirft kaum Ertrag ab."

Wichtig ist nun, das Schadholz schnellstmöglich vom Berg zu bekommen. Denn sobald die Nachttemperaturen steigen, kommt der Borkenkäfer: "Insofern spielt uns das kalte Frühjahr in die Hände." Weil nicht mehr feststellbar ist, welcher Baum im Lawinenkegel welchem Grundbesitzer gehörte, entschied Huber, die Kosten wie auch den Ertrag aus dem Holzverkauf entsprechend den betroffenen Flächen aufzuteilen.

Die Schutzbauten auf Höhe der Arzler Alm haben ihren Zweck erfüllt.
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Seit 18. April wird unter Hochdruck gearbeitet. "900 Kubikmeter Schadholz sind schon weg", sagt Huber. Schneller dürfte sein Team gar nicht sein, da Tirols Sägewerkindustrie bereits an ihrer Kapazitätsgrenze arbeitet. Dort ist man noch mit den Sturmschäden vom Herbst beschäftigt, und nun kommt der Schneebruch des heurigen Winters dazu.

Huber versucht, das Holz aus der Lawine so teuer wie möglich zu verkaufen, doch die Preise sind derzeit niedrig. Der kleine Gewinn, den das Buchenholz abwirft, gleicht gerade einmal den Verlust beim Fichtenbrennholz aus. Daher gilt es, so viel Nutzholz wie möglich aus dem Chaos zu gewinnen, weil das ein wenig Ertrag abwirft.

Die Subventionen, die Huber für die Besitzer lukrieren kann, decken nur 30 bis 40 Prozent der Gesamtkosten. "Es wird mindestens 80 Jahre dauern, bis sich der Wald von diesen Schäden erholt hat", erklärt er. Aus Sicht der Eigentümer heißt das für die kommenden zwei Generationen nichts als Mühen und Kosten.

Der Herzwiesenweg ist nach der Lawine kaum wiederzuerkennen.
Foto: Florian Lechner

Hier oben im Quellschutzgebiet, das Innsbruck mit Trinkwasser versorgt, ist die Arbeit heikel. "Wir dürfen keine Pestizide verwenden, um den Käfer abzuwehren", erklärt Huber. Sämtliche Maschinen müssen mit Biosprit betrieben werden. Deshalb greift er an manchen Stellen sogar auf Norikerpferde zurück.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Nordkette den Innsbruckern als Naherholungsraum dient. An schönen Tagen tummeln sich tausende Menschen am Berg. Viele von ihnen zeigen kein Verständnis für die Wegsperren wegen der Forstarbeiten. "Das ist respektlos. Sich selbst und auch uns gegenüber", schüttelt Huber den Kopf. Im selben Moment radelt ein älterer Herr am E-Bike an ihm vorbei. Mitten im Sperrgebiet.

Zum Ärgern bleibt keine Zeit. Denn der nächste Winter kommt bestimmt, und niemand weiß, ob der wieder solche Schneemassen bringt. (Steffen Arora, 11.5.2019)

Entlang des Rosnerweges wird deutlich, welche Kräfte hier am Werk waren. Meterhoch türmen sich Baumstämme und darunter immer noch Schneemassen, hart wie Beton.
Foto: Florian Lechner