Bilden wissenschaftliche Untersuchungen stets die Realität ab? Diese Frage stellt man sich mitunter. Studien sind – anders als es Schlagzeilen oft suggerieren – ein Ausschnitt der Wirklichkeit, nämlich jener, den die befragte Gruppe selbst skizziert.

Das ist auch bei der jüngsten Familienstress-Studie im Auftrag des SOS-Kinderdorfes so. Darin heißt es, die befragten Jugendlichen zwischen 14 bis 18 Jahren wünschten sich mehr "gemeinsame Zeit" mit Mutter und Vater. Bei Eltern lösen solche Aussagen reflexartig schlechtes Gewissen aus. Allerdings: Wer je erlebt hat, wie Eltern ebenso verzweifelt wie vergeblich versuchen, den Nachwuchs am Wochenende vom Handy loszueisen und in die Natur zu treiben, beruhigt sich wieder. Teenager verstehen unter gemeinsamer Zeit eher: "Bleib' bei mir, aber lass mich in Ruh'."

Spiegel der Gefühlswelt Heranwachsender

Weil die Teenies in der Studie mehrheitlich sagen, ihre Eltern verbrächten zu wenig Zeit mit ihnen, muss das nicht ihrem realen Familienleben entsprechen. Die meisten Mütter und Väter zerreißen sich eher, als dass ihre Kids zu kurz kommen. Die Aussagen der Teenies in der Familienstudie mögen aus Erwachsenensicht nicht total stimmig sein. Aber sie spiegeln die Gefühlswelt der Heranwachsenden wider. Mit dieser müssen sich Eltern auseinandersetzen, nicht nur wenn es um die Freizeitwünsche geht.

Vor allem Aussagen zum "Schul- und Ausbildungsstress" und dazu, wie Kinder den Alltagsstress ihrer Eltern erleben, müssten zu denken geben. Wem Hausübungen, Vokabellernen und Mathe-Nachhilfe zu viel werden, erträgt kaum, wenn die Eltern genervt von der Arbeit nach Hause kommen – und vice versa. Diesen Stressmix aus Schule, Arbeit, Hausarbeit aus Österreichs Familien zu nehmen – das ist eine Zukunftsaufgabe, der sich Politik und Gesellschaft längst stellen sollten. Ohne ideologische Scheuklappen.

Es braucht taugliche Jobsharing-Modelle

Keineswegs geht es darum, lernfaule Teenager beim Müßiggang zu unterstützen (konservative Urangst) oder Frauen wieder heim an den Herd zu verbannen (linker Angstreflex). Taugliche Jobsharing-Modelle müssen entwickelt, Unternehmen – vor allem mittelständische – dafür gewonnen werden, und das Pensionssystem muss von der theoretischen Norm eines 45 Jahre dauernden Achtstundentags an die Realität von Unterbrechungen, Elternzeit und Sabbaticals herangeführt werden.

Die Zeit drängt. Wenn der Druck in Familien steigt und Hilfe ausbleibt, wird er sich auf eine Weise entladen, die niemand will: Mehr Burnout-geplagte Erwachsene und auch mehr Gewalt in Familien und in Schulen, wie zuletzt etwa an einer Wiener HTL, wären die Folge. Die Schulen selbst sind mit der Situation überfordert, mehr Psychologen und Sozialarbeiter können helfen, aber nicht heilen.

Quarantänestation für gestresste Junge

Time-out-Klassen, eine Idee des Bildungsministers, wären nur eine Quarantänestation für junge Menschen, die starke Symptome einer Gesellschaftskrankheit namens Stress zeigen. Die Krankheit selbst, die Österreichs Familien täglich plagt, wird man so nicht los. (Petra Stuiber, 12.5.2019)