Horrorspaß: US-Regisseur Jim Jarmusch eröffnet Cannes mit "The Dead Don't Die".

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"Eine Besetzung, die Tote zum Leben erweckt!" Das französische Filmplakat von The Dead Don't Die protzt mit der geballten Starriege von Jim Jarmuschs Film – von Bill Murray und Tilda Swinton über Adam Driver und Chloë Sevigny bis zu Iggy Pop und Tom Waits -, dazu sieht man eine Hand, die lebensgierig aus einem Grab ins Freie herausstößt. Das Filmfestival von Cannes braucht zwar keine dringende Reanimation – aber die publicityträchtige Zugkraft der Zombiefilmkomödie, die dieses heute, Dienstag, eröffnet, wird nicht schaden. Im Kampf um Aufmerksamkeit entsprechen Starensembles immer noch harter Währung.

Der Film- und Distributionsmarkt ist in Bewegung, auch wenn der 2018 noch energisch ausgetragene Kleinkrieg mit Netflix dieses Jahr schon wieder etwas in den Hintergrund gerückt ist. Festivalchef Thierry Fremaux weigert sich nach wie vor, Filme, die keine Kinoauswertung bekommen, im Wettbewerb zu zeigen. Steven Soderberghs The Laundromat und Martin Scorseses Mafiadrama The Irishman fehlen aus diesem Grund in der Auswahl. Wie lange man sich diese Standfestigkeit leisten will und kann, das hängt auch von wirtschaftlichen Fragen ab. Etwa davon, wie lange man die Interessen französischer Kinobetreiber noch so bevorzugt behandelt. Gerade im Qualitätssegment brauchen Streaming-Anbieter Festivals (und umgekehrt). Die kommende Konkurrenz von Disney und Apple wird diesen Markt bestimmt weiter dynamisieren.

Focus Features

Über einen Mangel an attraktiven Filmen muss sich bei der 72. Festivalausgabe bislang aber niemand beklagen. Quentin Tarantino hat – sehr zur Freude Fremaux' – doch noch rechtzeitig seine Ode auf das Leben und Sterben in der Filmwelt der späten 1960er-Jahre, Once Upon a Time in Hollywood, fertiggestellt. Mit Ken Loach, den Dardenne-Brüdern oder Abdellatif Kechiche sind mehrere Palmen-Gewinner am Start; auch Terrence Malick, der sich in A Hidden Life mit dem österreichischen Kriegsdienstverweigerer Franz Jägerstätter beschäftigt, der von den Nazis hingerichtet und später seliggesprochen wurde.

Mit Jessica Hausner konkurriert auch eine heimische Regisseurin im Wettbewerb um die Goldene Palme, die in Cannes (u. a. Amour fou) schon lange ein gutes Standing hat. Little Joe bezeichnet sie im Gespräch mit dem Standard als ihre Variante des Frankenstein-Mythos, mit einer Frau in der Rolle der Wissenschafterin, die ein Monster kreiert: "Ich fand es witzig, zu erzählen, dass es anders als in der ursprünglichen Geschichte vielleicht gar nicht notwendig ist, das Monster umzubringen. Und dass die Kreatur, also das, wovor man Angst hat, sich am Ende doch irgendwie integriert."

Ironische Verschiebung

Das klingt nach einer der eigenwillig-ironischen Verschiebungen, die man von der 46-Jährige gewohnt ist – "Ambiguität", bestätigt sie, "ist ja schon eine Art Markenzeichen von mir!". In ihrer ersten internationalen Produktion – Emily Beecham und Ben Whishaw sind in den Hauptrollen zu sehen – kam ihr dabei auch die englische Sprache entgegen, mit der man etwas "direkt sagen kann, ohne dass es pathetisch klingt". Hausner bezeichnet ihren fantastischen Film dennoch als Märchen, in das auch aktuelle Debatten über gentechnisch veränderte Pflanzen Eingang gefunden hätten.

Sony Pictures Entertainment

"Frisch und fröhlich" trete sie nun die Herausforderung Wettbewerb an. Das Upgrade habe sie sich bei diesem Film nicht mehr erhofft. Hausner ist eine von vier Frauen (bei 21 Filmen) im Wettbewerb, was man genderspezifisch bereits als Aufwärtstrend werten muss. Von der Unbefangenheit der Neulinge darf man sich auch eine Verlängerung des Verjüngungskurses erhoffen, den Cannes im letzten Jahr anging. Vor allem die französische-senegalesische Filmemacherin Mati Diop, die nach vielbeachteten Kurzfilmen ihr Langfilmdebüt Atlantiques vorlegt, und die stets pointierte Französin Céline Sciamma, die vom Verhältnis einer Malerin zu der von ihr Porträtierten erzählt, könnten das Feld der Arrivierten aufmischen.

Aber nicht nur die offizielle Sektion, in der etwa noch Helmut Berger (Albert Serras Liberté) bis Diego Maradona (in Asif Kapadias Doku) aufscheinen, birgt Attraktives. Die Nebensektion Quinzaine des Réalisateurs hat im Italiener Paolo Moretti einen neuen Leiter, was sich in einer Auswahl mit besonders vielen Spielarten des Kinos spiegelt. Neben dem japanischen Regieberserker Takashi Miike ist auch der Österreicher Andreas Horvath mit seinem Roadmovie Lilian dabei. Und Bertrand Bonellos Zombie Child, der realem Voodoo-Kult nachspürt. Monströses liegt im Trend. (Dominik Kamalzadeh, 14.5.2019)