Die Bilder aus einer Wiener HTL mit den erschreckenden gewalttätigen Szenen mehrerer Jugendlicher gegenüber einem Lehrer, haben wohl kaum jemand kalt gelassen. Viel ist seither dazu gesagt und geschrieben worden, und im Nu wurde auch seitens des zuständigen Bildungsministers ein Maßnahmenpaket vorgestellt, wie künftig mit solchen Fällen umgegangen werden soll. Im Zentrum stehen sogenannte  Time-out-Klassen, in die ab dem Alter von zehn Jahren verhaltensauffällige, zu Aggression neigende Schülerinnen und Schüler für einen noch näher zu definierenden Zeitraum untergebracht werden sollen.

Das Modell soll bis zum Sommer fertig gestellt sein und ab Herbst zum Einsatz gelangen. Begleitend sind unterstützende Maßnahmen vorgesehen, wie die Ausbildung von Schülern als Peer-Mediatoren oder von Lehrern zu Streitschlichtern.  Auch die "Stärkung des Schulmanagements", was immer man genau darunter verstehen mag, soll in Angriff genommen werden. Angeführt werden Schulungen zu den rechtlichen Rahmenbedingungen, ein doch eher bescheidener Ansatz zur Verbesserung der Führungsqualität. Aber die Konkretisierung des Konzepts steht ja noch aus.

Vorbild Skandinavien?

Die Reaktionen auf die Ankündigungen waren gespalten. Während es von Lehrerseite vielfach Zustimmung gab, waren die Stellungnahmen seitens der Wissenschaft kritisch bis ablehnend. Kritische Stimmen kamen auch von einigen Schuldirektoren und von der gesamten Opposition:

DER STANDARD

Nun muss man fairerweise sagen, dass temporäre Auszeitmaßnahmen in bestimmten Fällen durchaus hilfreich sein können, wenn sie in ein gutes Gesamtkonzept eingebettet sind und wenn es dafür gutes, extra ausgebildetes Personal in ausreichender Anzahl gibt. Schon jetzt gibt es die sogenannten Förderklassen für Kinder mit besonders starken sozial-emotionalen Störungen.

In Wien sind dies etwa Kleinklassen für Schüler, die trotz Unterstützung durch Beratungslehrer oder Psychagogen nicht in Regelklassen integrierbar sind, da sie sich an den sozialen Rahmen nicht anpassen können. Der Aufenthalt in einer solchen Klasse dauert von ein bis drei Jahren, Ziel ist immer die Rückführung in eine Regelklasse. Ein anderes Modell konnte ich an einer Schule in Helsinki kennenlernen, wo es temporäre Auszeitgruppen (drei Betreuer für zwölf Kinder) sowie auch Einzelunterricht für besonders schwierige Kinder gab. 

Im Vergleich auf den hinteren Rängen

Auszeitklassen beziehungsweise -maßnahmen betreffen also meist Kinder, bei denen alle anderen Unterstützungssysteme nicht mehr greifen und werden jedenfalls nicht zur Disziplinierung eingesetzt. Dazu kommt, dass sie sehr personalintensiv und somit auch kostenintensiv sind. In Österreich hingegen sollen diese neuen Klassen, die ohnehin mit den Förderklassen wenig gemeinsam haben werden, kostenneutral sein, wie es so unschön heißt. Mehr Ressourcen sind nicht vorgesehen. Das verheißt nichts Gutes. Denn, wie wir inzwischen aus internationalen Bildungsvergleichsstudien wissen, stehen wir, was das so genannte Unterstützungspersonal (Schulsozialarbeiter, Psychologen, Psychagogen, Förderlehrer, Zweitsprachlehrer, Beratungslehrer…)  für Schulen betrifft, fast an letzter Stelle unter vergleichbaren Ländern. Da stellt sich schon die Frage, wie das gehen soll, wenn flächendeckend solche Klassen eingeführt werden sollen, aber kein zusätzliches Personal zur Verfügung gestellt wird.

Nur zur Illustration, wovon wir reden: In Schweden etwa gibt es an jeder Schule eine volle Stelle für Schulsozialarbeiter. In ganz Österreich haben wir hingegen nur 200 Schulsozialarbeiter, 63 werden vom Bund finanziert. Im Wiener Gemeindebezirk Favoriten mit 200.000 Einwohnern, gibt es gerade einmal fünf (!) Schulsozialarbeiter. Bis vor Kurzem waren es nur drei. Dasselbe könnten wir bei anderem Unterstützungspersonal durchdeklinieren. Im Frühsommer wird die OECD-Studie Talis (Teaching and Learning International Survey) veröffentlicht, die die Arbeitsbedingungen an Schulen im internationalen Vergleich analysiert. Gut werden wir da nicht aussteigen. Bei der letzten Teilnahme, 2008, standen wir da jedenfalls an letzter Stelle.

Minister Faßmann will ab Herbst Time-out-Klassen einführen. Mehr Schulpersonal wäre sinnvoller.
Foto: APA/HANS KLAUS TECHT

Maßnahmen für alle

So viel also zu den fehlenden Ressourcen. Es gibt aber noch andere Problemfelder im Zusammenhang mit den geplanten Maßnahmen gegen Gewalt und Mobbing in der Schule. Sollen diese nämlich sinnvoll zum Einsatz kommen, muss die ganze Schule betroffen sein – jede Lehrerin, jeder Lehrer, jeder einzelne Schüler und jede einzelne Schülerin. Es braucht klare disziplinäre Regeln und klare Vorgaben, was bei Verstößen passiert. Alle Lehrer einer Schule müssen kompetent sein im Umgang mit Mobbing, und Schüler müssen von Beginn an lernen, wie man mit Konflikten umgeht, wie man Konflikte löst.

Nichts davon ist übrigens neu, und nicht wenige Schulen arbeiten auch hierzulande erfolgreich mit solchen Modellen, leider bei fehlenden Ressourcen. Wenn die von Minister Faßmann angekündigten Maßnahmen systemisch gedacht sind, also jeweils die ganze Schule betreffen, dann wären sie zu unterstützen. Nur dann nämlich können sie erfolgreich sein, wie die Expertin auf diesem Gebiet, Christiane Spiel von der Universität Wien, nicht müde wird zu betonen. Bis dahin ist aber noch viel zu tun: Ausbildung von entsprechendem Personal, Organisationsentwicklung an Schulen, Maßnahmen zur Professionalisierung von Führungskräften, die über den Umgang mit dem Schulrecht hinausgehen. Wir brauchen die besten Kräfte an den Spitzen der Schulen. Auch da könnte, unabhängig vom konkreten Anlass, angesetzt werden.

Keine Schnellmaßnahmen

Was wir aber nicht brauchen, sind Schnellmaßnahmen. Was wir ebenfalls nicht brauchen, sind detaillierte, zentral von oben vorgegebene Regelungen, die für alle für alle Schulen Österreichs gleich sind. Wir müssen die Schulen stärken und sie dabei unterstützen, autonome Lösungen für diese Herausforderungen zu erarbeiten. Und wir müssen ihnen die dafür nötigen personellen Ressourcen zur Verfügung stellen. Je mehr Herausforderungen eine Schule hat, desto mehr Zusatzpersonal braucht sie. So einfach ist das. Gefordert wird das inzwischen seit Jahrzehnten, geschehen ist nichts. Es muss also Geld in die Hand genommen werden, daran besteht kein Zweifel. Sparen im System ist in der Schule jedenfalls fehl am Platz. Im internationalen Vergleich stehen wir derzeit nicht gut da – unser Ziel muss aber sein, uns künftig mit den Besten messen zu können. (Heidi Schrodt, 15.5.2019)

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