Barbara Honigmann gehört neben Esther Dischereit und Irina Liebmann zu den Chronistinnen jüdischen Lebens im deutschen Sprachraum.

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Zuletzt, als ihn auch das Glück einer vierten Ehe nicht mehr neu zu beleben vermochte, schränkte Georg Honigmann, der Lebemann ohne Privatbesitz, seinen ohnehin engen Wirkungskreis weiter ein. Nach außen hin stand der gelernte Journalist in Treue fest zur DDR. Honigmann (1903–1984), Kind eines jüdischen Gesundheitsreformers aus Wiesbaden, machte von seiner späten Desillusionierung durch das SED-Regime kein Aufhebens mehr.

Er zog in die Provinz und schaffte sich einen Dackel an. Das aufgeweckte Tier riss mit besonderer Vorliebe Hühner und biss sie augenblicklich tot.

Honigmann, der glühender Kommunist war, verachtete die große, bourgeoise Geste keineswegs. Er trug stets genug Geld bei sich, um die geschädigten Hühnerhalter Ostdeutschlands sofort entschädigen zu können. Honigmanns Tochter Barbara scheint posthum den Kopf über die kleinen Flausen und lässlichen Sünden ihres Papas zu schütteln.

Das kleine Buch Georg enthält nicht nur die zärtliche Hommage einer deutschen jüdischen Autorin an ihren wunderlichen Erzeuger. Es sammelt – wie in einer Nussschale – klitzeklein die Bestandteile für eine gehetzte, durch nichts zu befriedende Existenz. Honigmann erlebte am eigenen Leib, wie sich die vermeintlich besten Voraussetzungen für ein glückendes Leben in lauter Hypotheken verwandeln können. Mütterlicherseits war Honigmanns jüdische Sippe wohlhabend. Man lebte von den Darlehen, mit denen man den besonders kunstsinnigen Großherzögen von Hessen-Darmstadt aushalf.

Freiheit des Denkens

Haarfein und doch in mäandernder Bewegung erzählt Barbara Hongimann, wie der Besuch der berühmten Odenwald-Schule dem Vater zur Freiheit des Denkens verhalf. Georgs eigene Stellung innerhalb des Judentums blieb zeitlebens prekär. Unfähig, in der Tradition Fuß zu fassen, schmähte er nachträglich den eigenen Breslauer Großvater.

Dieser knüpfte in der Mitte des 19. Jahrhunderts die größten Hoffnungen an eine jüdische Emanzipation. Nur im Schoße des preußischen Staates, so lautete seine These, könne das Judentum die hemmenden Fesseln der Orthodoxie, der talmudischen Vorschriften abstreifen.

Georg Honigmann, selbst ein durch und durch säkularer Mensch, erübrigt für das Pathos der Aufklärung nur Geringschätzung. Er wird Journalist und arbeitet als Zeitungskorrespondent in London. Honigmann entwickelt aus Liebschaften Ehen, und er schöpft aus den Zufälligkeiten des Lebens die Idee der unbedingten Parteilichkeit. Georg Honigmann wird Kommunist. Dabei klebt der Geruch der Bourgeoisie penetrant an seinen Bata-Wanderschuhen, die er als sein einziges Besitztum schätzt.

In Hass und Zerfleischung

Honigmann spioniert für die Sowjetunion. Mit einer Fundierung seiner Überzeugung gibt er sich nicht eigens ab. Über den Humanismus eines Hermann Hesse sei er nicht hinausgekommen, spöttelt dieser Bonvivant über sich, der laut Auskunft seiner Tochter ganze Tage in depressives Schweigen versinken konnte.

Wir sehen Georg Honigmann in der DDR in der für ihn unpassenden Rolle des Funktionärs. Er heiratet die Schauspielerin und Sängerin Gisela May, die Ehe wird in Hass und Zerfleischung enden. Man besitzt an irgendeinem märkischen See eine Datscha, und vom anderen Ufer hört man die Rufe der russischen Besatzungssoldaten herüber. Was bedeuten im Sozialismus Dauer, Sesshaftigkeit, Heimat, Besitz?

Georg Hongimann fährt mit dem Cabriolet durch den Arbeiter- und Bauernstaat. Er muss unentwegt Lebensläufe bei den Bezirksparteistellen der SED abgeben, und er scheitert mit Kabarettprogrammen an der Zensur. Der Spuk der Freiheit zerstiebt, nicht mit einem lauten Knall, sondern lautlos. Eine Jude wie Honigmann hat froh zu sein, wenn er nicht wegen seiner "prominent nose" und seines unverkennbar "mediterranen Aussehens" erkennungsdienstlich erfasst und mit dem Tode bedroht wird.

Honigmanns Vater-Buch handelt herzzerreißend von der Unmöglichkeit, im mörderischen 20. Jahrhundert Jude zu sein und zugleich ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Barbara Honigmann (70), die heute in Straßburg lebt und schreibt, bezeichnet das Dilemma nicht. Sie führt es entlang der Lebenslinien ihres Vaters seelenruhig vor Augen. Ihre schnörkellose Prosa wird man darum nicht ereignislos nennen wollen. Sie hallt im Leser lange erschütternd nach. (Ronald Pohl, 16.5.2019)