Das Drumherum spielt eine große Rolle: Schlechte bauliche Strukturen und eine ungenügende Infrastruktur können Armut verstärken.

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Mit Armut in Stadtvierteln ist es wie mit der Henne und dem Ei, es stellt sich die Frage: Was war zuerst? Ziehen Menschen, die sozial schlechter gestellt sind, vermehrt in so genannte Gebiete mit besonderem Entwicklungsbedarf, oder führen die regionalen Gegebenheiten in diesen Gebieten zu Armut?

Zumeist sind es nicht die baulichen Strukturen am Wohnort alleine, die Armut verursachen, "die Gegebenheiten können aber durchaus ein Verstärker sein und Armut verfestigen", sagt Alexander Hamedinger vom Forschungsbereich Soziologie an der TU Wien. Und: "Armut kann vererbt werden, wenn es eine hohe Konzentration von Armen in einem Stadtviertel gibt", schrieb auch der deutsche Soziologe und Stadtforscher Hartmut Häußermann einst in einem Aufsatz.

Fest steht: Stadtplanung hat einen erheblichen Einfluss. "Die Banlieues in Frankreich sind ein Beispiel für eine Fehlleistung stadtplanerischer Art, die zu Ghettoisierung geführt hat", sagt Barbara Steenbergen, Vorsitzende der Europäischen Mietervereinigung. Ein weiteres Beispiel sei das Viertel Scampia in Neapel: Zwischen riesigen Wohnbauten liegen dort große Straßen und unbebaute Flächen, es fehlt vor allem an notwendiger Infrastruktur.

Benachteiligung verstärken

Das sind Rahmenbedingungen, die Benachteiligung verstärken können, weiß Hamedinger. Ebenso wie etwa eine schlechte Verkehrsanbindung an andere Stadtteile, zu wenig benutzbare öffentliche Räume, eine mangelnde Bildungs- und Pflegeinfrastruktur, schlechte Nahversorgung. Auch eine schwache lokale Ökonomie kann laut Häußermann eine Rolle spielen: "Ein rascher Wechsel der Ladeninhaber mit der Tendenz zu billigeren Angeboten vermittelt den Eindruck des kollektiven sozialen Abstiegs."

"Ein Kennzeichen für guten sozialen Wohnungsbau ist, dass er über die ganze Stadt verteilt ist und nicht außen herum am Siedlungsrand", sagt Steenbergen. Stadtplaner wüssten zum Glück bereits, dass ein urbaner Mix die Attraktivität einer Stadt erhöht, so die Mieterschützerin.

Für Neubauten scheint es also ein Rezept zu geben, und im Bestand? In den USA, aber auch in Europa hat es Versuche gegeben, Bauten in sozial schwächeren Vierteln abzureißen und in anderen Gegenden der Stadt neu aufzubauen. Die meisten dieser Experimente sind nicht geglückt, weil sich die Bewohner in ihrer neuen Nachbarschaft nicht wohlgefühlt haben. "Interventionen müssen so gestaltet sein, dass soziale Netzwerke und Lebenswelten nicht zerstört werden. Gegen Abrisse spricht viel", so Hamedinger dazu.

Soziale Mischung

Letztlich beschäftigt sich Stadtplanung auch mit sozialen und räumlichen Strukturen. In diesem Punkt ist die wichtigste Maßnahme gegen Armut die soziale Durchmischung in Stadtvierteln. "Sind nur die sozial Schwachen im geförderten Wohnbau untergebracht, führt das zu Ghettoisierung", sagt Steenbergen. Stadtplanung kann hier "Strukturen schaffen, die eine soziale Durchmischung zulassen. Damit kann einer Verfestigung von sozialer Benachteiligung entgegengewirkt werden", sagt Hamedinger. Alleine bauliche Strukturen zu verändern, reiche aber nicht aus. "Soziale Prozesse müssen gemeinsam mit Bewohnern gestaltet werden, nur so können die Menschen miteinander in Kontakt kommen", so der Stadtforscher.

Auch für die Nachverdichtung in der Stadt gibt es konkrete Vorschläge, etwa von Thomas Ritt, Leiter des Bereichs Kommunalpolitik in der Arbeiterkammer Wien: "Ein Drittel aller ausgebauten Dachböden in der Innenstadt könnte zu einem sozial verträglichen Preis angeboten werden. So würde eine Durchmischung stattfinden."

Schlussendlich ist Armut neben baulichen und sozialen Gegebenheiten auch in den Köpfen. Häußermann schreibt: "Oft bleibt die Stigmatisierung. Es ist nicht die äußere Fassung oder die städtebauliche Form, die die abwertende Sicht auf diese Viertel bestimmt, sondern die Bevölkerung, die darin lebt." (Bernadette Redl, 18.5.2019)