Matteo Salvinis Lega stellt ihre große Kundgebung am Samstag auf der Mailänder Piazza del Duomo unter das sattsam bekannte Motto: "Prima gli Italiani!" (Die Italiener zuerst).

Aber neben dem Innenminister und Vizepremier werden auch Rechtspolitiker aus dem Ausland auf die Bühne steigen: Vorgesehen sind unter anderem Auftritte der Chefin des französischen Rassemblement National (RN), Marine Le Pen, und des Deutschen Jörg Meuthen von der AfD. Auch FPÖ-Generalsekretär und Spitzenkandidat Harald Vilimsky hatte sich angemeldet, er musste aber aufgrund der Regierungskrise nach Auftauchen eines Videos mit Vizekanzler Heinz-Christian Strache am Samstagvormittag absagen. Insgesamt – so verkündet Salvini stolz – würden in Mailand Rechtsnationale und Rechtsextremisten aus zwölf europäischen Ländern erwartet.

Zentralgestirn im Universum von Europas Rechten soll – so sieht er es selbst – Italiens Innenminister Matteo Salvini sein.
Foto: APA/AFP/ATTILA KISBENEDEK

Etwas "Großes" und "Neues"

In Mailand soll nach dem Willen Salvinis etwas "Neues", etwas "Großes" beginnen, das die Europäische Union aus den Angeln heben soll: Der 46-jährige Lega-Chef strebt den Zusammenschluss aller rechtsnationalen und populistischen Parteien an, die im Straßburger Parlament derzeit noch auf drei verschiedene, politisch weitgehend bedeutungslose Fraktionen verteilt sind. Diese neue Gruppe, so das Kalkül Salvinis, könnte bei der EU-Wahl zur zweitgrößten Fraktion aufsteigen – und dann zusammen mit der größten Fraktion, der Europäischen Volkspartei (EVP), die bisherige Mehrheit aus EVP, Sozialdemokraten und Liberalen ablösen. Die Rolle, die Salvini bei diesem Szenario für die EVP vorsieht, ist dieselbe, die auch sein Koalitionspartner in Rom, die unerfahrene Fünf-Sterne-Bewegung, spielen darf: die des Steigbügelhalters, des Befehlsempfängers.

Um ihn sollen unter anderen der Österreicher Harald Vilimsky, ...
Foto: APA / Herbert Pfarrhofer

In Italien führt der Innenminister zur Erreichung dieses großen Ziels einen aggressiven Dauerwahlkampf: "Ihr müsst uns helfen, damit die Lega die größte Partei in Europa wird und wir uns die Schlüssel zu unserem eigenen Haus wieder zurückholen können!" Und weiter: "Der 26. Mai ist ein Referendum zwischen Leben und Tod; zwischen der Vergangenheit und der Zukunft; zwischen einem freien Europa und einem islamischen Staat, der auf Angst und Unsicherheit gründet."

In dieser Tonlage hat Salvini in den in 137 Tagen seit Jahresbeginn mehr als 200 Wahlkampfauftritte absolviert. Für das Regieren blieb wenig Zeit: Gerade einmal 17 volle Arbeitstage hat der Innenminister in dieser Zeit in seinem Ministerium verbracht.

"Freies Europa"

Wie sein "freies Europa" konkret aussehen soll, hat Salvini bisher weitgehend offengelassen. Seine Vorstellungen lehnen sich an das Programm der rechtsextremen Straßburger Fraktion "Europa der Nationen und der Freiheit" (ENF) an, dem die Lega, der RN und die FPÖ angehören: Schutz der Außengrenzen, Beschneidung der Kompetenzen der EU-Kommission bei gleichzeitiger Aufwertung der nationalen Regierungen, Betonung der christlichen Wurzeln der Union, Schutz der europäischen Unternehmen vor Billigkonkurrenz aus Fernost.

Bild nicht mehr verfügbar.

... die Französin Marine le Pen, ...
Foto: Reuters / Christian Hartmann

"Brüssel ist uns egal"

Bei der Übertragung von Kompetenzen der EU-Kommission zurück an die Nationalstaaten denkt Salvini in erster Linie an die Auflagen bezüglich des Defizits: Am liebsten will Salvini die Maastrichter Konvergenzkriterien abschaffen. Das hochverschuldete Italien soll zudem vom Joch des Stabilitätspakts befreit werden, um noch mehr Schulden machen zu können. "Es ist meine Pflicht, diese Auflagen, die Millionen Italiener hungern lassen, zu überwinden. Deshalb werden wir Geld ausgeben, bis die Arbeitslosenquote halbiert ist – auch wenn dies ein Defizit von mehr als drei Prozent und eine Staatsverschuldung von 130 oder 140 Prozent des BIPs zur Folge hat. Und falls sich Brüssel deswegen beschwert, ist uns das egal", betonte Salvini diese Woche einmal mehr.

Dabei übersieht der Lega-Chef, dass sich angesichts der italienischen Schuldenwirtschaft nicht nur die "Erbsenzähler" in Brüssel aufregen, sondern auch die meisten seiner rechtspopulistischen Freunde im Ausland: Die AfD, die FPÖ, die Finnenpartei, die niederländische Freiheitspartei von Geert Wilders, der belgische Vlaams Belang, sie alle pochen auf strikte Haushaltsdisziplin, besonders in den Ländern im Süden. Sie befürchten, selbst die Zeche mitbezahlen zu müssen, falls die "kreative" Finanzpolitik bei einem der Mitglieder des "Club Med" schiefgehen sollte.

Bild nicht mehr verfügbar.

... der Niederländer Geert Wilders ...
Foto: Reuters / David W. Cerny

Am ehesten schiefgehen wird es in Italien, wo Salvini trotz eines Schuldenbergs von knapp 2.400 Milliarden Euro wild entschlossen ist, eine Pauschalsteuer (Flat Tax) von 15 Prozent durchzuboxen. Das Land mit der dritthöchsten Verschuldung der Welt und einer der niedrigsten Beschäftigungsquoten Europas hätte dann die geringste Steuerbelastung in der EU. Es ist nicht anzunehmen, dass Meuthen oder Vilimsky solche Pläne mittragen werden.

Aber auch der ungarische Regierungschef Viktor Orbán, den Salvini ebenfalls gern an Bord hätte, hat schon durchblicken lassen, dass er am Stabilitätspakt nicht zu rütteln gedenke. Bei Orbán steht auch noch nicht fest, ob er die EVP verlassen und sich Salvinis Fraktion anschließen wird.

Verwegene Hypothesen

Verwegen erscheint Salvinis Hoffnung, nach der Europawahl eine Koalition mit der EVP eingehen zu können. Zwar hat der Chef der italienischen EVP-Abordnung, Ex-Premier Silvio Berlusconi, angedeutet, dass er sich eine künftige Zusammenarbeit mit Salvini nicht nur in Italien, sondern auch auf europäischer Ebene wünschen würde; doch der deutsche EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber hat einen Pakt mit den Rechtsextremen ebenso kategorisch ausgeschlossen wie die deutsche Kanzlerin Angela Merkel.

... und der Deutsche Jörg Meuthen als Planeten kreisen.
Foto: AFP / dpa / Fabian Sommer

Nach dem Motto "Prima gli Italiani" und unter dem Applaus seiner italienischen Fans wird Salvini die Vorgaben des Stabilitätspaktes natürlich trotzdem verletzen. Aber Rom wird dafür von der neuen EU-Kommission nicht den Segen erhalten, wie der Innenminister seinen Landsleuten fälschlicherweise weismachen will. Und seine rechten Freunde werden seine schärfsten Kritiker sein. (Dominik Straub aus Mailand, 17.5.2019)