Er riskiert sein Leben nicht für einen Berg. Das hat mein Mann gesagt. Er hat es immer wieder betont. Und ich habe ihm geglaubt. Weil Gerfried dieses Prinzip über Jahre hinweg gelebt hat. Er ist am K2 umgekehrt. Er wusste, wann es zu viel wird. Davon war ich überzeugt, deshalb fühlte ich mich sicher. Auch als er mit zwei Kollegen zum Hidden Peak aufbrach.

"Mein Mann wurde nie gefunden. Ich weiß nicht, was passiert ist."

Gerfried war ein Stratege, er kannte das Gelände. Alles war so geplant, dass im Grunde nichts schiefgehen konnte. Zumindest habe ich mir das eingeredet. Ich wusste über alles Bescheid, er hat mir alles erklärt. Auch als er bereits am Berg war. Er sagte, die Rucksäcke seien schwer. Und dass er sich melden würde, sobald er den Gipfel erreicht hat. Gerfried klang zuversichtlich. Aber er ist nie oben angekommen. Er hat sich auch nicht mehr gemeldet. Ich weiß nicht, was passiert ist. Mein Mann und seine Kollegen wurden nie gefunden.

Die Berichte über den Tod von David Lama, Hansjörg Auer und Jess Roskelley weckten bei Heike Göschl-Grünwald Erinnerungen: "Ein Ausnahmezustand."
Foto: Göschl

Wir hätten ihn gerne nach Hause gebracht, ihn beerdigt. Eine Bestätigung seines Todes hätte den Abschied leichter gemacht. So kamen mir die absurdesten Gedanken. Sie entstehen aus dem unbedingten Wunsch, dass es doch nicht so ist, wie es ist. Auf der einen Seite war mir bereits am nächsten Tag klar, dass er nicht zurückkommen wird. Auf der anderen Seite hatte ich eine Woche später noch Hoffnung. Wenn da oben etwas passiert, kann dir keiner helfen. Das hat Gerfried gesagt. Und so war es auch. Es hatten sich Hubschrauber auf die Suche gemacht, aber es wurde nichts gefunden. Kein Zelt, keine Ausrüstung, gar nichts. Ein halbes Jahr später wurde mein Mann für tot erklärt. Unsere Töchter waren zwei und sechs Jahre alt.

Ich habe die Berichterstattung zum Tod von David Lama, Hansjörg Auer und Jess Roskelley verfolgt. Es wurden Erinnerungen geweckt, es hat mich zurückversetzt. Lama hat mich in seiner Persönlichkeit stark an Gerfried erinnert. Ich kann den Schmerz der Hinterbliebenen mitfühlen. Roskelley war verheiratet, ich habe das Statement seiner Frau gelesen. Da zerreißt es mich, ich kann jedes Wort nachempfinden. Es ist, als würde man einen Teil seiner selbst verlieren. Der Schockzustand packt dich zunächst in Watte. Man spürt sich nicht mehr. Man spürt gar nichts mehr. Keinen Hunger, keinen Durst, keine Gefühle. Da ist alles tot. Ein Ausnahmezustand. Ich würde gerne sagen, das Schlimmste ist dann überstanden. Aber das ist es nicht. Das ist erst der Anfang. Es wird noch viel schlimmer.

"Ich dachte, mein Leben ist zu Ende, und da draußen geht es weiter."

Wir hatten damals in Liezen jeden Tag strahlenden Sonnenschein. Ich dachte, mein Leben ist zu Ende, und da draußen geht es weiter. Als ob nichts passiert wäre. Als würde ich nicht mehr dazugehören. Ich bin stundenlang nur dagesessen. Ohne etwas zu sagen, ich habe nur vor mich hingestarrt. Ich kann mich daran nicht mehr erinnern, aber so wurde es mir erzählt. Später habe ich alle Phasen durchlebt. Ich war verzweifelt, ich war hilflos, ich war wütend. So wie ich es früher auch manchmal war, nur jetzt kam nichts mehr zurück. Meine Gedanken drehten sich im Kreis. Manchmal waren sie weg, dann waren sie plötzlich wieder da. Man kann sich das nicht aussuchen, es passiert. Und es gehört zu meinem Leben.

Göschl plante die erste Winterüberschreitung eines Achttausenders.
Foto: Göschl/Wikimedia

Die Zeit heilt nicht alle Wunden. Aber reden hilft. Ich habe Hilfe in Anspruch genommen. Und ich habe die Nähe von Menschen gesucht, denen Ähnliches passiert ist. Wie gehen die damit um? Wie können die das verarbeiten? Kann man das überhaupt verarbeiten? Ich bin mir nicht sicher. Aber man lernt, damit zu leben. Es wird nicht einfacher, es wird anders. Es gibt ein Leben davor und ein Leben danach. Das Leben davor ist weg. Es braucht Zeit, bis man das erfasst hat. Bei mir hat es lange gedauert. Dem Trauerprozess muss man sich stellen, alles Gewohnte hat mir geholfen. Die täglichen Rituale, meine Arbeit an der Schule. Manchmal bin ich unvermittelt in Tränen ausgebrochen. Wenn mich irgendwas erinnert hat. Ein Lied, ein Geruch, ein paar Worte.

Eine Frage hat mich regelmäßig eingeholt: Warum habe ich das als Mutter nicht verhindert? Aber hätte ich seinen Tod überhaupt verhindern können? Ich weiß es nicht, ich glaube nicht. Wenn man mit einem Menschen zusammenlebt, muss man ihn mit allen Facetten nehmen. Auch das ist Liebe. Der eine arbeitet im Büro, der andere ist Bergsteiger.

"So ein Mensch wäre unglücklich, wenn man ihn aufhalten würde."

Und er hatte diese unglaubliche Leidenschaft für die Berge. So ein Mensch wäre unglücklich, wenn man ihn aufhalten würde. Man kann eine Persönlichkeit nicht zweiteilen. Er konnte nur deshalb so sein, wie er war, weil er diesen anderen Teil auch hatte. Sonst wäre er nicht zufrieden gewesen. Und er war zufrieden. Er hat sich nie über Kleinigkeiten aufgeregt, war ganz selten schlecht gelaunt. Er musste nur immer ein Ziel vor Augen haben.

Ein Jahr vor dem Unglück: Expedition am Hidden Peak im Jahr 2011.
AdvPakistan

Seine hohe Leidensfähigkeit hinterließ mich ratlos. Die Gefahren, die Kälte, die Sauerstoffknappheit. Ich würde mich niemals derartig quälen. Was treibt dich an? Warum machst du das? Warum muss es immer mehr werden? Ich habe diese Fragen gestellt. Aber ich habe nie eine befriedigende Antwort bekommen. Er konnte das mit Worten nicht erklären. Obwohl er ein guter Redner war. Die Bereitschaft, sich solchen Bedingungen auszusetzen, hat man oder nicht.

Ob es mir ein Trost ist, dass er bei dem gestorben ist, was er am liebsten tat? Vielleicht wäre es ihm ein Trost, mir ist es keiner. Er wollte nicht sterben. Er hat immer gesagt, er will noch als Großvater von seinen Abenteuern erzählen.

"Wenn es tatsächlich passiert, ist man darauf nicht vorbereitet."

Ich wurde oft gefragt, ob er seine Risikobereitschaft auf Druck der Sponsoren erhöht hat. Aber so war es nicht. Es gab kein Muss. Ich hatte eher den Eindruck, dass die Vorbereitung professioneller wurde. Er hat aus Fehlern gelernt, er wurde besser. Es war eine Erleichterung, dass er nicht mehr als Pädagoge arbeiten musste. Er war zufrieden, und ich war es auch. Es hat funktioniert, wir hatten ein gutes Leben. Wenn er am Berg war, habe ich hineingebissen. Dann habe ich zu Hause alles geschupft. Wenn er von einer Expedition zurückkam, hat er zwei Wochen gebraucht, um wirklich anzukommen. Das habe ich akzeptiert.

Der 8080 Meter hohe Hidden Peak In Pakistan.
Foto: Creative Commons

Ich hätte damit rechnen müssen. Das habe ich oft gehört, von Freunden und Bekannten. Vielleicht stimmt es sogar. Aber wenn es tatsächlich passiert, ist man darauf nicht vorbereitet. War mir das Risiko noch bewusst? Ich glaube, nicht ganz. Die Sorge um sein Leben hatte ich ausgeblendet. Gerfried war ein erfahrener Bergsteiger. Er hatte den Everest 2005 ohne zusätzlichen Sauerstoff über die Nordroute bestiegen. Er war ein Profi auf seinem Gebiet, konnte Situationen einschätzen und Lösungen finden. Durch die Routine sieht man die Gefahren nicht mehr objektiv. Und jede positive Erfahrung hatte uns in dem Glauben bestärkt, dass es auch nächstes Mal gutgehen wird. Gerfried war von seinen Projekten überzeugt, er hatte keine Zweifel.

Eines Tages will ich mit den Kindern zum Hidden Peak. Man sagt, die Anreise sei extrem anstrengend. Aber ich will mir diesen Berg anschauen. Was ich mir davon erwarte? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich es machen muss. Ich war noch nie in Pakistan. Ich möchte das Land und die Menschen kennenlernen. Gerfried hat sich dort gemeinsam mit seinem Vater für den Bau einer Schule engagiert. Die Leute, die er in Pakistan kannte, waren für ihn wie eine Familie. Einige melden sich heute noch, um zu fragen, wie es mir und den Kindern geht. Es geht uns gut, wir haben alles, was wir brauchen. Ich bin dankbar für all die guten Sachen.

"Für die Kleine ist es nicht schwer. Sie vermisst nichts."

Meine Töchter werden jetzt neun und 13 Jahre alt. Sie stellen Fragen. Für die Kleine ist es nicht schwer. Sie vermisst nichts, sie kennt es nicht anders. Für die Große ist es schwieriger. Sie sieht aus wie ihr Vater, hat dieselbe Mimik und Gestik. Und sie ist stolz, wenn sie von seinen Abenteuern hört. Dass die Kinder ohne Vater aufwachsen müssen, schmerzt mich. Ich kann mir ein Leben ohne meinen Vater nicht vorstellen. Er hat viele Aufgaben übernommen. Er wachselt den Kindern die Ski. Die Große war österreichische Meisterin im Slalom, sie hat das sportliche Talent geerbt. Und klettern will sie auch.

Ich bin mit ihr auf den Großglockner gegangen. Wir waren am Seil, eine echte Herausforderung. Ich bin keine Helikoptermutter, ich lebe nicht in Angst. Beim Aufstieg dachte ich zwischendurch, ich gehe nicht mehr weiter. Aber ich bin weitergegangen. Es geht immer weiter. Man schafft mehr, als man glaubt. (Zugehört und aufgezeichnet hat: Philip Bauer, 17.5.2019)

Heike Göschl-Grünwald mit ihrer Tochter Hannah am Großglockner.
Foto: Göschl