Demonstration gegen einen geplanten Kirchenbau in Jekaterinburg ...

Foto: APA / AFP / Alexei Vladykin

... und die Gegner der Demonstranten.

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Seit Anfang der Woche wird in Jekaterinburg demonstriert. Die Proteste konzentrieren sich auf einen Park in der Nähe des Theaters. Dort soll nach Vorstellungen der Obrigkeit zum 300. Stadtgeburtstag 2023 eine neue Katharinenkirche entstehen – als Ersatz für die 1930 unter Stalin zerstörte Katharinenkirche in Jekaterinburg. Doch die Anwohner sind dagegen, dass wegen des Baus ihr Park, eine der letzten grünen Oasen in der Industriemetropole, weichen soll.

Verliefen die Proteste anfangs friedlich, eskalierten die Auseinandersetzungen zwischen Befürwortern und Gegnern der Kirche spätestens, als kräftig gebaute junge Männer – wie sich später herausstellte, Mitglieder eines örtlichen Kampfklubs – vermeintlich auf der Seite Gottes in den Konflikt eingriffen und ihre Gegner verprügelten. Mehrere Demonstranten mussten ins Krankenhaus, darunter auch einer mit einer gebrochenen Rippe.

Doch die Proteste wuchsen dadurch nur noch an. Bereits am Dienstag erschienen 2.000 Menschen auf der Kundgebung. Angesichts der eher schwachen politischen Mobilisierung in den russischen Regionen ist das eine große Zahl. Sie sperrten die Straße und zerstörten die Absperrung. Die Sondereinheit Omon nahm zunächst 20 Personen fest. Bis zum Donnerstag war die Zahl der in Gewahrsam genommenen Personen auf fast 100 gestiegen.

Gespräch ohne Kompromiss

Die regionale Führung reagierte auf die Proteste zunächst zögerlich. Die Aufforderung der Demonstranten an den Bürgermeister Alexander Wysokinski zum Dialog ignorierte dieser. Später immerhin lud Gouverneur Jewgeni Kujwaschew beide Seiten zu einem Gespräch ein, aus dem die Streitparteien allerdings ohne Kompromiss hervorgingen. Die offizielle Position von Kirche und Obrigkeit besteht darin, dass das Projekt bereits lange entschieden sei und es öffentliche Anhörungen gegeben habe. Nur wissen davon die meisten Anwohner nichts.

Und so lädt sich der Streit immer mehr auf. Für den Kreml ist dies eine gefährliche Situation, denn es brodelt landesweit. In der nordrussischen Region Archangelsk gibt es seit Monaten massive Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Umweltschützern um den Bau einer riesigen Mülldeponie, wohin vor allem der Abfall aus Moskau verfrachtet werden soll. In der Kaukasusrepublik Inguschetien protestierten Tausende gegen eine administrativ von oben vollzogene Grenzänderung, für die Tschetscheniens Präsident Ramsan Kadyrow massiv lobbyiert hatte. Die Zahl der Demonstrationen in Russland ist 2019 landesweit deutlich angestiegen.

Geringe Zufriedenheit

Putins Umfragewerte sind zwar immer noch gut, sinken aber seit geraumer Zeit. Noch schlechter sieht es aus, wenn die Russen zur Arbeit der Regierung, ihrer persönlichen Zufriedenheit, zu sozialen Problemen oder der Lage im Land allgemein befragt werden. Im vergangenen Herbst manifestierte sich die Unzufriedenheit mit der Obrigkeit erstmals in Wahlen. In vier Regionen wurde der Kreml-Kandidat abgewählt, obwohl gegen sie nur Alibi-Bewerber ohne wirkliche Ambitionen angetreten waren. Und im Herbst sind wieder Wahlen in den Regionen. Noch so eine Schlappe will sich der Kreml nicht leisten.

Und so musste am Ende Putin doch wieder selbst in den Konflikt eingreifen. Hatte am Mittwoch noch sein Sprecher Dmitri Peskow das Vorgehen der Polizei verteidigt und die Demonstranten als "Provokateure" abgetan, so zeigte sich der Präsident selbst kompromissbereit: "Eine Kirche soll die Menschen einen und nicht entzweien", sagte Russlands Präsident Wladimir Putin am Donnerstag. Die beste Lösung sei, eine Befragung zu der Angelegenheit abzuhalten, schlug er vor. Die Verlierer sollten sich dann mit der Entscheidung der Mehrheit abfinden. Sollte es in Jekaterinburg tatsächlich zu einem Referendum in der Kirchenfrage kommen, wäre dies für die örtliche Obrigkeit eine herbe Watsche – für die Demokratie allerdings ein großer Gewinn. (André Ballin aus Moskau, 17.5.2019)